Ilse Kilic:
Das Buch, in dem sie Kontakt aufnehmen
2018, 128 Seiten, Euro 13,90

978-3-85415-582-9
erschienen im und zu bestellen bei
Ritter Verlag
Hagenstraße 3
A - 9020 Klagenfurt

 

(leseprobe)

Merksatz 10: Die Giftigkeit des Normalen ist nicht zu unterschätzen. Zu viel Durchschnitt verträgt nicht mal die größte Sau.

Konnten also Abweichungen im Sinne von Versuch und Irrtum als evolutionärer Versuch gesehen werden? Und was konnte ein zusätzlicher Finger in dieser Hinsicht bedeuten? Es war eine Tatsache, dass sich Berichte über Sechsfingrigkeit in den letzten Jahren deutlich vermehrt hatten, allerdings war es nicht gelungen, alle diese Meldungen zu verifizieren. Mehrten sich also nur die Berichte oder mehrten sich auch die Fälle von Sechsfingrigkeit? Und wie waren sechsfingrige Menschen im Kontext der Erweiterung menschlicher Fähigkeiten einzuschätzen? War ihnen die Abweichung hilfreich bei Arbeitsleistungen, deren Geschwindigkeit gesteigert werden sollte, wie etwa die Bedienung von Tastaturen? Oder war der sechste Finger ein bloßes Hindernis, da er keine Entsprechung im inneren Körperbild hatte und daher seine Funktionsfähigkeit eingeschränkt war, während er den anderen, sich nützlich machen wollenden Fingerchen im Wege stand, sie blockierte und ihre Bewegungsabläufe durcheinander brachte? Waren mehr als fünf Finger an einer Hand also eine Behinderung oder eine Erweiterung der

  Funktionen der Hand? Eine andere Frage war, ob diese Fingervariation andere sichtbare Änderungen der betroffenen Personen mit sich brachte. Eine Modifikation des genetischen Codes konnte verschiedenste Auswirkungen auf den Organismus haben, die ohne Kenntnis der genetischen Zusammenhänge als voneinander unabhängige Zufälligkeiten gesehen wurden. Wenn jedoch eine Mehrheit aller sechsfingrigen Menschen zum Beispiel stark kurzsichtig oder übermäßig behaart war, oder wenn die sechsfingrigen Menschen mehrheitlich ein sehr hohes Lebensalter erreichten, könnte man Schlüsse auf genetische Zusammenhänge ziehen. Wäre es also anhand verschiedener Normvarianten möglich, der Evolution gewissermaßen auf die Finger zu schauen und sich selbst in diesen Prozess zu beobachten?