Ilse Kilic:
Fadenspannung - Eine Verbündung
2021, 168 Seiten, Euro 14,90

978-3-85415-623-9
erschienen im und zu bestellen bei
Ritter Verlag
Hagenstraße 3
A - 9020 Klagenfurt

 

(leseprobe)

Jedenfalls ist es aber nicht so, dass ich jetzt alleine bin beim Schreiben. Auch meine Schräglage ist vermutlich nicht alleine. Es ist gar nicht möglich, alleine zu sein. Menschen, die mir im Leben begegnen und begegnet sind, Menschen, mit denen ich spreche, die mit mir sprechen, die mit mir Bier trinken, mit denen ich Bier trinke, Menschen, deren Bücher ich gelesen, deren Musik ich gehört, deren Bilder ich gesehen habe, begleiten mich. Sie begleiten mich nicht nur, sie gestalten das mit, was ich der Einfachheit halber „Ich“ nenne. „Ich“ tut gerne so, als wäre es eine einigermaßen abgeschlossene Einheit, die kontinuierlich besteht und sich selbst gestaltet. Das macht das Leben etwas überschaubarer. Aber „Ich“ beinhaltet ein Stück „Ich Du Er Sie Es Wir Ihr Sie“. Die Bücher auf meinem Schreibtisch, die Worte, die ich mit einer Kollegin beim Bier gewechselt habe, die aus Büchern abgeschriebenen Gedichte, die ich in meinen alten Tagebüchern finde, all dies bewahrt mich davor, das, was „Ich“ ist, zu überschätzen oder zu unterschätzen. All dies ist Ratgeberin und Ratgeber, während dieser Text entsteht. All dies ist ein oder viele Schutzengel, oder, besser gesagt, ein oder viele Schutzbengel. Als Autorin, die mit ihrem Namen auf dem Cover steht, kann ich ein bisschen Schutz durchaus brauchen. Früher fürchtete ich mich, wenn jemand einen Text von mir las, dass er oder sie ihn beurteilen oder gar verurteilen könnte. Es schien mir, als wäre ein solches Urteil auch ein Urteil gegenüber meiner ganzen Person, und das war es auch gelegentlich. Es gibt immer Beurteilungen und Verurteilungen, auch in meinem eigenen Kopf, doch sind sie genauso wenig umfassend und dauerhaft wie ich selbst, man sollte sie nicht allzu sehr fürchten. Das heißt nicht, dass ich mich nicht weiterhin ein bisschen fürchte, auch und besonders dann, wenn diejenige, die einen Text von mir liest, ich selber bin.

Dieser Text soll dem Nicht-Allein-Sein Rechnung tragen, indem er Impulse aus seiner und meiner Umgebung aufgreift, sie aufspürt und am Schopfe packt, ihnen nachspürt, ihnen entgegeneilt, sie mit offenen Armen empfängt, ihnen zuzwinkert, sie zur Geltung bringt, sie auf ihrem Weg begleitet und in neue Zusammenhänge stellt.

 

(leseprobe)

Ja. So oder so ähnlich soll es sein. Alles, was so ist, ist so ähnlich. So ähnlich zu sein, ist eine Art, sich dem So-Sein anzunähern.
Anhand von Fundstücken und Entdeckungen mir am Herz liegende Themen zu umkreisen, sie einzukreisen, das ist der Plan. Dieser Plan, ob er nun will oder nicht, steht in Zusammenhang mit dem Zufall. Dieser Plan ist also auch eine Frage nach der Stimme des Zufalls, ein Versuch, zu schreiben, was ich, wir und meine Zufälle wollen. Es ergeben sich Duette, gelegentlich auch Chorgesänge, vielstimmig und auch etwas dissonant. Die Oberhoheit bleibt aber bei mir, das bin Ich, mehr oder weniger und gemeinsam.