Ilse Kilic:
Zukunftskunde

Notizen zum genetischen Gestaltungswahn
1991, 44 Seiten
3-9011-9301-4

erschienen bei
VIDO
Verein zur Information der Öffentlichkeit
zu Kunst, Wissenschaft und Kulturpolitik

vergriffen!


 

(leseprobe)

Die Vorstellung des Menschen als Fehlerquelle

Die Die Vorstellung des Menschen als Fehlerquelle (auch in bezug auf die allgemein verbindlich formulierten Ich-Ideale) ist schon historisch als Notwendigkeit der Selbstkontrolle in den einzelnen verankert.
Die Das Bewußtsein der Fehlerhaftigkeit führt unter anderem zu einer Psychiatrisierung und Therapeutisierung der Gesellschaft, d.h. auch zur Notwendigkeit mehr oder weniger "sanfter" Korrektur am einzelnen. Ein Zusammenhang kann auch gesehen werden zur libidinösen Besetzung des Funktionierens, ohne diesen Begriff weiter infragezustellen: so produzieren z.B. viele funktionierende und funktionalisierte - also "arbeitende" - Menschen unnotwendigen, ja in seinem Ausmaß gefährlichen Überfluß.
Die Aber mehr und mehr entpuppt sich der Mensch als Fehlerquelle für reibungslos ablaufende Produktionsprozesse: so können Menschen in die sogenannten "Reinräume", in denen Computerchips hergestellt werden, nur nach zweimaliger gründlicher Reinigung hinein: Menschen, diese ständigen "Dreckschleudern" aus winzigen Hautabschuppungen, unsauberer, ausgeatmeter Luft und - natürlich auch - aus unberechenbaren, irrationalen Verhaltensweisen, die sich trotz immer genauerer Methoden der Vorhersagbarkeit entziehen.
Die Das sogenannte ELIZA PROGRAMM (ein Computerprogramm, das Gesprächstherapeut-Innenverhalten simuliert) kann sicherstellen, daß wirklich jeder Klient und jede Klientin "gleich" behandelt wird - und nur der Bestrafungsautomat in Kafkas Strafkolonie kann sicherstellen, daß den Bestrafenden keine Sympathien oder Antipathien die Blicke verschleiern und daß also die Strafe in einer paradoxen Weise "gerecht" wird.
Die Hier übernehmen Maschinen Funktionen von Menschen - und sie übernehmen sie, indem sie sich selbst dem Menschen als "Vorbild" gegenüberstellen und ihn verführen/zwingen (?), seine Gedanken, Handlungen etc. zu maschinisieren, zu funktionalisieren, um sich mit ihnen zu messen.
Die Dieser Vorbildcharakter setzt dort an, wo ein unerreichbares Ich-Ideal auf verlorenem Boden steht: die Idee des autonomen Ich, seiner perfektionierten Selbstkontrolle, der Funktionstüchtigkeit als höchstes Gut - schon ließe sich fragen, ob der Mensch nicht sowieso eine Maschine ist. Falls er aber eine ist, oder dabei ist, sich zu einer zu entwickeln - noch sind die "wirklichen" Maschinen die besseren Maschinen. Ob sie auch die besseren Menschen sind, sei vorläufig dahingestellt.
Die Der teilweise, zumindest anfängliche Erfolg des ELIZA PROGRAMMS ließe jedenfalls auch darauf schließen, daß die Tätigkeit von Therapeutinnen und Therapeuten im allgemeinen überschätzt wird - als ob gerade da speziell "menschliche" Eigenschaften wie Einfühlungs-vermögen etc. gefragt wären.
Die Die zumindest zum Teil anerkannte Überlegenheit von Maschinen gerade wegen ihrer Normierbarkeit bedeutet aber nicht nur, daß Fließbandarbeit sich erübrigen könnte (bzw. bedeutet sie das unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen gar nicht), sondern sie bedeutet einen veränderten Blick des Menschen nicht nur auf sich selbst.