Kapitel 11: Korrespondenz


Manche Gedichte regen andere Gedichte an. Auf das folgende Gedicht von Bess Dreyer habe ich mit einem Gedicht gewissermaßen geantwortet.

ausgezählt, angetippt

war es nur der zeigefinger?
im schatten versteckt blieb,
ob die ganze hand folgte.
seit der berührung bin ich
befangen. so viel trauer
und brüchige knochen
mit andockstellen von skelett
zu skelett. es wächst aber
in diesem wackligen gerüst
ein mut, wartet, dass ich ihn
beim namen rufe. ich laufe
noch einmal um den eckstein.

© Bess Dreyer

Als ich dieses Gedicht las, fiel mir ein Traum ein. Es war einer jener Träume, von denen man etwas atemlos aufwacht. Zudem meinte ich, ich hätte den Traum schon öfter geträumt, also träumend meinte ich mich ans Träumen zu erinnern. Und trotzdem war mir von dem Traum jetzt nur noch dieses Gefühl eines mich berührenden, sehr knochigen Zeigefingers in Erinnerung. Mein Gedicht reagiert auf das von Bess Dreyer, aber nicht nur. Es enthält meine eigene Furcht vor dem Zeigefinger und vor dem "Great Equalizer".

War es nur der Zeigefinger? War es nur der Zeigefinger? Für Bess Dreyer

Da war ein Finger,
kalt und hart.
Er stuppste zart
und traf mich an der Wange,
Mir wurde bange.

Großmutter,
wieso hast du so harte Finger?
Großmutter spuckte mir ins Gesicht,
sie spitzte den Mund.
Ihre Hand rieb mich sauber mit
dem Schürzenzipfel.
Sie gab mir Schokolade.
Sie drückte mich an ihre Rippen,
deren jede wie ihr Finger war.

Später in der Schule sah ich
ein menschliches Skelett.
So sehen wir aus
unter der Haut,
unter den Muskeln,
unter dem Fett,
sagte der Lehrer,
wir sind alle gleich, quasi
da.
Deswegen nennt man den
Revolver auch "The Great Equalizer".
Er macht lebende Menschen zu Skeletten und die
liegen alle in Gräbern bis zum jüngsten Tag.

Meine Wange erinnert sich an Großmutters Finger.
Beängstigend und ermutigend zugleich.
Deswegen sage ich, dass sie mich stuppste,
ich sage nicht, dass sie mich stach,
das könnte ich sagen
aber ich sags nicht.
Ich sags nicht. Ich laufe davon.

(War es nur der Zeigefinger?
Das fragt Bess Dreyer in ihrem Gedicht,
das den Finger kennt und die Pflicht,
den Arm, die Schulter, das Licht.
Die Frage antwortet schlicht:
Der Finger kam nicht allein
Der Mut kühlt den Wind - kann sein.
Der Finger hält die Hand an der Hand.
Die Hand schließt die Tür in der Wand)

Ich gehorche der Schwerkraft, auch wenn ich nicht falle.
Das tun wir alle.

© Ilse Kilic

Der Zeigefinger! Ein mächtiger Finger!
Kleine Auswahl seiner Gesten (Quelle Wikipedia):
.) Zeigefinger zeigt auf die eigene Brust: ich
.) Zeigefinger zeigt auf den Gegenüber oder eine andere Person: du, bzw. er / sie
.) Zeigefinger zeigt auf einen Gegenstand: Gestik, um die Aufmerksamkeit des Gegenübers / der
.) Zuhörer auf diesen zu lenken
.) Ausgestreckter Zeigefinger nach oben: Aufgemerkt! Drohung (Erhobener oder moralischer
.) Zeigefinger)
.) Nach oben ausgestreckter Zeigefinger pendelt nach links und rechts: nein ("Dudu-Finger")
.) Zeigefinger beschreibt einen Kreis an der Kopfseite: Du bist verrückt!
.) Zeigefinger tippt an die Schläfe oder Stirn: Du bist verrückt! (den Vogel zeigen)
.) Zeigefinger tippt flach an die Schläfe: Denk mal nach! (Köpfchen muss man haben)
.) Zeigefinger wird aus einer (zu einer anderen Person gerichteten) Faust heraus gestreckt, und
.) wieder zum eigenen Körper hin gekrümmt, wieder ausgestreckt, usw.: Komm her!
.) Ausgestreckter Zeigefinger wird nach oben zeigend auf die geschlossenen Lippen gelegt:
.) Schweig! (pst!)
.) Zeigefinger tippt auf eine Unterlage (Tisch): Ich bestehe darauf! (jetzt und hier)