Kapitel 26: Ernste Sterne


Manchmal ist es ein längerer Weg, auf dem ein Gedicht zu mir und meiner Aufmersamkeit findet. Mit dem folgenden Gedicht begab es sich so: Mein Gefährte Fritz Widhalm traf den Kollegen Michael Fischer, um gemeinsam mit ihm in Radio Orange 94,0 eine Livesendung zu machen. Improvisierte Musik, Soundscaping und Texte. Michael Fischer hatte ein Buchgeschenk für Fritz mit, das dieser dann, beim Heimkommen, in meine Hände legte. In einem der beiden Bücher von Eleonore Weber (Titel: FÜHLE IRRSINN AM ZEILCEIM, VEWZ Literaturverein, Wien 2008) fand ich das folgende Anagrammgedicht:

Von Tag zu Tag lebe ich
Tagtäglich von Zebu
Geliebt, ach Zaunvogt
Tagbauvogel netz ich
Aug Zeitblech von Tag
zu Tag. Oben vage Licht
lebe ich von Tag zu Tag.

Während ich dieses Gedicht mehrmals laut lese, mir selbst vorlese, fällt mir ein Song ein, der sich auch um das "Leben von Tag zu Tag" dreht, und, wer mich kennt, wird sich nicht wundern, er ist von Kevin Coyne, stammt von seinem Album "Bursting Bubbles". Ich zitiere die letzten beiden Zeilen:

I'm just a diary, hear what I say
I'm truly living from day to day

Man muss den Song natürlich hören, um die Widersprüchlichkeit des so genannten "Lebens von Tag zu Tag" richtig nachfühlen zu können, ja. Wird man zu einem Tagebuch, zu einem Kalendarium?
Auch bei Gedichten kann es übrigens durchaus hilfreich sein, sie laut zu lesen und sie so mit den Klang der eigenen Stimme zu versehen.

Anagramme sind schon eine eigene ganz besonders süße Verlockung. Jede Buchstabenverdrehung scheint auf etwas hinzuweisen und das Auseinandernehmen von Worten und Zusammensetzen neuer Worte aus denselben Buchstaben kann schon wahre Perlen zutage fördern. Gerade die Dauer der Beschäftigung ist oft der eigentlich maßgebliche Faktor, dieses Tüfteln und Herumschieben, und das Lächeln, wenn eine besondere Lösung sich anbahnt. Es braucht Zeit, ja, Zeit und Sturheit, beides kann ein Anagrammgenerator meist nicht ersetzen.

Auch das Dichten lebt manchmal von Tag zu Tag, so wie ja eigentlich das ganze Leben von Tag zu Tag voranschreitet, ja und ebenso wie das Leben ist auch das Dichten manchmal beglückend, manchmal aber nicht.
Das Leben von Tag zu Tag ist oft mit "Ach" verbunden (so auch im zitierten Gedicht). Es suggeriert eine Planlosigkeit, die einerseits durchaus heiter stimmen kann, wenn sie den eigenen Wünschen entspricht, weil aber die "eigenen Wünsche" oft nicht beim Wort genommen werden können, kann andererseits diese Planlosigkeit als Verlust auftreten und verunmöglichen, was der Planung bedurft hätte, ob Urlaub, größeres Schreibvorhaben oder Studienabschluss.

Ich habe Anagrammgedichte gemacht und sie mit Zeichnungen begleitet, hier ein Beispiel dazu:

Und ja, ich lebe von Tag zu Tag.
Des öfteren sage ich "ach" dabei.