Kapitel 40: Das Kamel, das Nadelöhr, das Paradies


Nein, ich möchte das Kamel, das immer wieder versucht, sich durch das Nadelöhr zu zwängen, nicht vergessen. Es gibt vermutlich viele solcher Kamele, eines davon wohnt im folgenden Gedicht von Christian Morgenstern (enthalten in den "Galgenliedern"):

Die Probe

Zu einem seltsamen Versuch
erstand ich mir ein Nadelbuch.

Und zu dem Buch ein altes zwar,
doch äußerst kühnes Dromedar.

Ein Reicher auch daneben stand,
zween Säcke Gold in jeder Hand.

Der Reiche ging alsdann herfür
und klopfte an die Himmelstür.

Drauf Petrus sprach: 'Geschrieben steht,
daß ein Kamel weit eher geht
durchs Nadelöhr als Du, du Heid,
durch diese Türe groß und breit!'

Ich, glaubend fest an Gottes Wort,
ermunterte das Tier sofort,
ihm zeigend hinterm Nadelöhr
ein Zuckerhörnchen als Douceur.

Und in der Tat! Das Vieh ging durch,
obzwar sich quetschend wie ein Lurch!

Der Reiche aber sah ganz stier
und sagte nichts als: 'Wehe mir!'

Arm und Reich, ja ein schier unerschöpfliches Thema, bei dem die Sprache sich ziemlich bemühen muss, um nicht zu versagen, angesichts zum Beispiel der folgenden Tatsache: "Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen inzwischen genau so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung" (Quelle: ORF online, 18.01.2016).

Ich zitiere dazu einen Satz einer Textmontage, entstanden nach der Lektüre von Veza Canettis Erzählung "Geduld bringt Rosen":
das nadelöhr ist eine lupe und das schicksal schrumpft zusammen, wenn es vor der himmelstüre steht.

Übrigens: DIEBSTAHL VON LEBENSMITTELN KEIN VERBRECHEN - in Italien!
Der Oberste Gerichtshof Italiens hat in einem Urteil entschieden, dass sich Menschen ohne Geld nicht strafbar machen, wenn sie kleine Mengen von Lebensmitteln in einer Hungersituation stehlen. (Die italienische Tageszeitung "La Stampa" kommentierte, es solle 'jeden daran erinnern, dass in einem zivilisierten Land auch die schlimmsten Menschen nicht verhungern sollten' (Quelle: http://www.focus.de/finanzen/recht/richter-gibt-lizenz-zum-stehlen-italiener-duerfen-jetzt-lebensmittel-klauen_id_5502864.html).

Eine meiner Lieblingsautorinnen ist Christa Reinig. Das nun folgende Gedicht von ihr stammt aus dem Buch "Überall und neben dir" und ist ein Kommentar zur Präsenz von Reichtum und Arbeit, zu Zahlen und Zählen, zu Bezahlen und Abzählen. Wer übrigens Christa Reinigs Buch "Entmannung" nicht kennt, dem sei es hiermit ebenfalls ans Herz gelegt. Es ist 1978 bei Luchterhand erschienen. Hier aber das Gedicht von Christa Reinig. Ja, wer reich ist, könnte Angst haben müssen, wer arm ist muss Angst haben. Punktum.

Das kleine Einmaleins

1 x 1
das ist mein.
1 x 2
thats my.
1 x 3
kommt zu zwei.
1 x 4
gehört mir.
1 x 5
in die Strümpf.
1 x 6
dass es wächs.
1 x 7
hier gebliem.
1 x 8
Profit gemacht.
1 x 9
wieder mein.
1 x 10
H..........h
ä.......o
n.....c
d...h
e
Dies
ist
ein
Raub
ü...f
b.....a
e.........l
. r.............l.