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(leseprobe)
*Die
Frage nach dem Zusammenhang zwischen schreibenden und beschriebenen Personen
hat auch Ilse Kilic im Rahmen der Verwicklungsromane immer wieder beschäftigt,
denn: In diesen Romanen kommen Menschen vor, denen Jana Brenessel und
Ilse Kilic im wirklichen Leben begegnet sind. Manche kommen häufig
vor, manche weniger häufig, manche erscheinen so positiv, dass es
ihnen eine helle Freude sein müsste, sollten sie sich wiedererkennen.
Aber nicht alle Menschen wollen sich selbst in einem Roman begegnen! Oder,
sagen wir so: Manch Leser, manch Leserin will sich erkannt fühlen,
sich in den Figuren wieder erkennen, aber so, dass er oder sie mit seiner
Problematik quasi verallgemeinert auftritt. Solch Leser und Leserin wollen
in einem Roman gewissermaßen induktiv auftreten, dabei jedoch nicht
das Einzelschicksal darstellen, auf dem die Induktion beruht. Sie wollen
das Gefühl haben, dass ein anderes Einzelschicksal sich im Roman
zu jener allgemeinen Schicksalshaftigkeit verdichtet, die es ermöglicht,
sich selbst als Einzelschicksal darin finden zu können.
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Im
Folgenden bringen wir Ausschnitte aus einem Gespräch, das Jana Brenessel
und Ilse Kilic in einem Chatroom, also in aller Öffentlichkeit, geführt
haben. Eine Abschrift des gesamten Gesprächs lagert im Archiv der
Edition Fussnoten zur Weltgeschichte.
-Wenn wir nun davon
ausgehen, dass ich überwiegend als Autorin in dieser Welt präsent
bin, du aber überwiegend als Romanfigur, dann könnten wir nun
diese beiden Arten von Anwesenheit vergleichen…
-Also so wie ich es
sehe, gibt es vor allem einen wesentlichen Unterschied: Ich kann mein
Leben nicht in gleichem Ausmaß gestalten wie du! Als du an Brustkrebs
erkrankt bist, hast du dieselbe Diagnose in die Geschichte meines Lebens
geschrieben…
-Das stimmt. Aber du
wirst doch nicht davon ausgehen, dass ich mein Leben gerade in diesem
Punkt selbst gestaltet habe. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich
die eigene Lebensgeschichte freiwillig mit Krebs gestaltet. Das passiert.
Und so ist es auch mir passiert. Und du als meine heimliche Zwillingsschwester
musst nicht nur die schönen Seiten, sondern auch die bitteren Erfahrungen
mit mir teilen.
-Schöne Seiten,
natürlich. Dazu gehört aber auch das Schreiben. Das ist ja der
Grund, warum ich meinerseits damit begonnen habe. In meinen beiden Publikationen
habe ich dich als Romanfigur festgeschrieben!
-Also sind wir nun
Beide Beides, Schreibende und Beschriebene*.
Aber wissen wir genug übereinander?
-Naja, die Frage
muss doch anders lauten: Wissen wir genug über uns selbst? Oder:
Wissen wir genug über die Wirklichkeit, die wir als Rohmaterial verwenden?
-Ist es überhaupt
möglich, genug über die Wirklichkeit und über die in ihr
befindlichen Personen zu wissen? Kann die Wirklichkeit eine in ihr befindliche
Person ausreichend zur Darstellung bringen?
-Ein Roman kann der
Vielfalt einer Person jedenfalls nicht gerecht werden. Ich hege aber die
Befürchtung, dass die Wirklichkeit dem Roman zwar in vieler Hinsicht
überlegen, in dieser Hinsicht jedoch unterlegen ist.
-Ein Unterschied zwischen
dem Leben im Roman und so genanntem wirklichen Leben ist auch, dass man
in einem Roman das Ende am Anfang lesen kann.
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