Ilse Kilic:
Alter Ego -
Mutprobe mit Zugaben
2025, 160 Seiten, Euro 19,-
978-3-85415-691-8
erschienen im und zu bestellen bei
Ritter Verlag
Hagenstraße 3
A - 9020 Klagenfurt

 

(leseprobe)

Hier nun ein kleiner Hinweis auf das Thema, um das der Text seine Runden zieht, heitere, schwermütige, optimistische und ängstliche Runden. Entdeckt habe ich dieses Zitat in einem Essay von Anna Wiesinger, in "Der Standard", 12. 8. 2023.

Laut einer Studie der Soziologinnen Anne Barrett und Erica Toothman aus dem Jahr 2017 nimmt die Angst vor dem Alter mit zunehmenden Lebensjahren ab.

Vielleicht wirft dieser Hinweis schon ein Licht auf das, was ich als eine immer älter werdende Autorin vorhabe. Ich habe meiner Textperson Mimi La Whipp einen Auftrag gegeben und möchte, dass sie mir flott vorausaltert und den Lebensfaden voranklettert. Ich denke jetzt an ein dickes Tau, etwa mit jenem vergleichbar, auf dem wir im Turnunterricht das Seilklettern übten. Es bleibt die Frage, klettert man dieses Tau im Laufe des Lebens nach oben oder nach unten, anders gefragt, wo befindet sich das gedachte Ende dieses Seils? Paradoxerweise vermutlich oben und unten gleichermaßen, sowieso existiert das ganze Seil nur, solange jemand klettert. Also: Mimi hat ihr eigenes Seil, ihren Lebensfaden, den ich als Autorin für sie gebastelt habe und im Auge behalte. Sie klettert zugleich nach oben und nach unten, wie wir alle. Ich will beobachten, was Altwerden für sie bedeutet. Auch wenn es möglicherweise für mich etwas anderes bedeuten wird, gehe ich doch davon aus, dass ich mir an Mimis Alterungsprozess ein Beispiel nehmen beziehungsweise mich vertraut machen könnte.

Nimmt etwa Mimis Angst ab, während sie altert, wie es im Zitat postuliert wird? Das wäre zum Beispiel eine spannende Frage. Und: Könnte ich mir dann an Mimis abnehmender Angst ein Beispiel nehmen? Aber was würde es bedeuten, wenn das Gegenteilige einträte und ihre Angst zu ungeahnter Größe heranwüchse? Wie würde ich mich dann wappnen, und könnte ich früh genug gegensteuern, weil gewarnt?

 

(leseprobe)

Jedenfalls werde ich Mimi La Whipp betreuen und behüten, soweit es mir möglich ist. Sie muss nur an dem Faden zupfen, der uns verbindet, und schon werde ich mich um sie bemühen.

Natürlich könnte es bei Mimis Auftrag auch um das gehen, was unweigerlich am Ende des Lebens folgt, nämlich, ja, genau das: das Ende des Lebens. Wird Mimi also mir, der Autorin auch im Tod vorangehen? Wahrscheinlich nicht. Sie möchte jedenfalls lieber nicht vor der Autorin sterben, das wäre eine beunruhigende Endgültigkeit in dieser Abhängigkeit und Anhänglichkeit. Ich werde auf Mimis Wünsche achten und sie dem Lebensende zögerlich näherbringen und auch Mimi wird versuchen, dieses Ziel nicht zu erreichen, noch nicht und nicht in diesem Text.

Ach, jedem Ende wohnt ein Zaudern inne, das uns beschützt.

(Eigentlich, nämlich bei Hermann Hesse, lautet dieser Spruch anders und zwar so: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt..." Vielleicht ließe sich aber postulieren, dass Zauder und Zauber zusammengehören, wie eben Anfang und Ende? Vielleicht.)