Lucille Bogan: "Shave 'Em Dry" (1935)


Blues. Pianoblues. Elijah Wald, der Autor des Buches "Escaping the Delta. Robert Johnson and the Invention of the Blues" 2005, das 2012 bei Rogner & Bernhard unter dem Titel "Vom Mississippi zum Mainstream. Robert Johnson und die Erfindung des Blues." auf deutsch erschienen ist, schreibt, dass die Bluesmusik aus dem Delta in erster Linie eine Erfindung weißer Musikkritiker aus den 60er Jahren gewesen sei. Es sei ein Klischee, dass der Blues als Aufschrei der armen, farbigen Landbevölkerung verstanden wird. In den 20er Jahren verstand man unter Blues nicht den urbanen Blues über das Leiden im schwarzen Ghetto, sondern den Blues von großstädtischen Sängerinnen wie Bessie Smith. Was die Evolution der Schwarzen Musik betrifft, ist Robert Johnson jedenfalls eine unbedeutende Randfigur, schreibt Elijah Wald. Die Fehlinterpretation hat ihren Ursprung in den 60er Jahren, als weiße Rockmusiker und Rockmusikerinnen, Journalisten und Journalistinnen die field recordings von Alan Lomex entdeckten und in einer Aufwallung von romantischer Idealisierung das Rohe, augenscheinlich Authentische zum Wahren und Echten verklärten. Richtig, falsch? Feststeht, dass Elijah Wald auch ein weißer Musiker und Journalist ist. Das Buch ist trotzallem lesenswert. Lucille Bogan wurde 1897 als Lucille Anderson in Amory, Mississippi geboren und zählt zu den klassischen Bluessängerinnen der 20er und 30er Jahre. Ihre Karriere als Sängerin begann in der Bluesszene von Birmingham, Alabama. Die ersten Songs auf Platte waren "Lonesome Daddy Blues" und "Pawnshop Blues" 1923, die sie in New York für OKeh Records aufnahm. Mit dem Song "Sweet Petunia" 1927 hatte Lucille Bogan ihren ersten Hit auf dem Markt der so genannten race records. Anfang der 30er Jahre tat sie sich mit dem Pianisten Walter Roland zusammen, mit dem sie auch fortan die meisten Songs gemeinsam schrieb: I got nipples on my titties / Big as the end of my thumb / I got somethin between my legs / That'll make a dead-man come / Baby won't you shave 'em dry / Want you to grind me baby / Grind me until I cry / I fucked all night / And the night before, baby / And I feel like I wanna fuck some more / Oh, grind me honey / Shave me dry. Gemeinsam nahmen sie über hundert Schallplatten auf, bevor Lucille Bogan 1935 ihre Aufnahmekarriere beendete. Ab Ende der 20er Jahre nahm Lucille Bogan auch unter dem Pseudonym Bessie Jackson Songs auf, der Bekannteste davon war der "B.D. Woman's Blues": Comin' a time / women ain't gonna need no men. B.D. ist ein Kürzel für bull dykes. Der Song wurde später von lesbischen Künstlerinnen wie Holly Near oder den Indigo Girls neu interpretiert. Lucille Bogan starb 1948 in Los Angeles. Die Noveltyband Asylum Street Spankers aus Austin, Texas, die von 1994 bis 2011 aktiv war und in dieser Zeit 11 Studioalben veröffentlichte, spielte mehrere Songs von Lucille Bogan ein. "Shave 'Em Dry" war die letzte Aufnahme von Lucille Bogan und Walter Roland. Danach nahm Walter Roland keine Platten mehr auf, er fristete sein weiteres Leben als Straßenmusiker, später als Farmer und starb 1972 an Lungenkrebs. Bei ihrer harten Stimme und kompromisslosen Wesensart wäre es Lucille Bogan unmöglich gewesen, etwa wie Georgia White eine Art von populären Schlagern zu riskieren - Lucille Bogan blieb in der Hauptsache Bluessängerin. Die Aggressivität der weiblichen Bluessänger in diesem Zeitraum hing zu einem beträchtlichen Teil mit der Position zusammen, die sie zwischen den beiden Weltkriegen in der schwarzen Gesellschaft des Nordens innehatten. Meistens war es für Frauen einfacher als für Männer, einen Job zu kriegen, und deswegen gerieten sie auch leicht in die dominierende Stellung des Familienoberhaupts, schreibt Paul Oliver in seinem Buch "Die Story des Blues - Worksongs, Ragtime, Rhythm and Blues", das 1978 bei Rowohlt erschienen ist. Ja, es gibt eine Menge zu lesen über Pop! "Shave 'Em Dry" ist auf dem Album "Lucille Bogan (Bessie Jackson) 1923-1935", erschienen 1989 bei RST Records, zu hören.