Fritz Widhalm:
HEUTE. EIN LETZTES BUCH
2016, 136 Seiten, Euro 16,90
978-3-903110-05-2

erschienen und zu bestellen bei
Klever Verlag
Hochstettergasse 4/1
A - 1020 Wien

 


 

(leseprobe)


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heute. mein schreibtisch hinterlässt einen aufgeräumten eindruck. der aschenbecher hinterlässt einen falschen eindruck. eigentlich rauche ich im wohnzimmer nicht. ich rauche nur in der küche oder im caféhaus. der aschenbecher ist aber ein fixer bestandteil der ordnung auf meinem schreibtisch. er dient der beruhigung meiner nerven. das buch unter dem aschenbecher und der plastikbox mit cd-rohlingen ist ein sehr schönes buch: amazonen der avantgarde, herausgegeben von john e. bowlt und matthew drutt. dieses buch dokumentiert die evolution der modernen russischen malerei von der jahrhundertwende bis zu den frühen zwanziger jahren am beispiel von sechs künstlerinnen, die im mittelpunkt dieser entwicklung standen: alexandra exter, natalja gontscharowa, ljubow popowa, olga rosanowa, warwara stepanowa und nadeschda udalzowa, schreibt matthew drutt. mein grosser liebling ist warwara stepanowa. neunzehnsiebzehn begann warwara an gegenstandsloser visueller dichtung zu arbeiten und produzierte zwei bücher. warwara erklärte: „ich verbinde die neue bewegung gegenstandsloser dichtung als klang und buchstabe mit der malerischen wahrnehmung, und dies verleiht dem klang der verse eine neuartige, lebendig-visuelle wirkung... ...ich nähere mich hier einer neuen kreativen form. durch die malerisch-graphische reproduktion der gegenstandslosen dichtung meiner zwei bücher sigra ar und rtny chomle führe ich gleichzeitig klang als neue qualität in das malen visueller elemente ein und bereichere dadurch quantitativ deren möglichkeiten.“ ja, ich liebe warwara stepanowa. nein, ich kenne die beiden bücher von warwara nicht. ich kenne nur die zehn abbildungen aus diesen büchern, die sich im buch amazonen der avantgarde befinden. ich habe mir ein bild von warwara gemalt und mit roten reisnägeln über meinem schreibtisch an die wand gehängt. als vorlage diente mir eine fotografie aus dem jahre neunzehnsechzehn, die ein nicht bekannter fotograf, eine nicht bekannte fotografin, anno dazumals in moskau gemacht hat. das bild hinterlässt einen melancholischen eindruck.
ihre ernsthaftigkeit treibt mir tränen in die augen.