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(leseprobe)
Viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen halten es für wichtig,
einer Hauptperson früher oder später Zugang zur Bildung zu gewähren.
Um bei solchem Unterfangen das Textwerk nicht allzusehr zu belasten, wird
bisweilen hiefür der Nürnberger Trichter*
verwendet.
*In
der Stadtbibliothek Nürnberg befindet sich eine Darstellung dieses
Trichters. Auf einem Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert sind drei Männer
zu sehen, die einem auf dem Boden Liegenden die gesamte Weisheit mit einem
großen Trichter einflößen. Das Bild trägt die Überschrift:
„Seht liebe Leut hie steht der Mann, so alle Kunst eingießen
kann.“ Eduard Duller erzählt in den 1834 erschienenen „Geschichten
und Märchen für jung und alt“, dass der Schneidersohn
Hans Wurst von Tripsdrill nach Nürnberg wanderte, um dort den überall
so begehrten Wundertrichter zu suchen.
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Gerda konnte der Vorstellung, zur Bestimmung ihres spezifischen Gewichtes
unter Wasser zu tauchen, nichts abgewinnen, zumal sie den wissenschaftlichen
Tätigkeiten von Edgar und dessen Kompagnon V. wenig Vertrauen entgegenbrachte.
Das Wesen im Essigkrug als Ergebnis wissenschaftlicher Experimentiertätigkeit
weckte kein Vertrauen zu den beiden Experimentatoren. Wenn Gerda den Essigkrug
polierte, was zu ihren Aufgaben gehörte, verspürte sie ein heftiges
Schwindelgefühl. Wenn Gerda dem Wesen die sorgfältig zubereitete
Nahrung einflößte, fühlte sie ebenfalls Schwindel, indem
sie dessen Kopf hin und her schwanken sah. Den Schöpfern eines solchen
Wesens wollte sie nicht als Forschungsobjekt dienen, auch wenn es nur
darum ging, ihr spezifisches Gewicht zu bestimmen, was ihr – vielleicht
– für den Verbleib im vorliegenden Text unschätzbare Vorteile
bringen könnte. Gerdas Maxime: Je weniger Daten eine für dein
Schicksal verantwortliche Person zur Verfügung hat, umso größer
ist deine Chance, auch als Hauptperson in einem Textwerk das eigene Schicksal
gestaltend zu konstruieren.
Gelegentlich tarnt sich das spezifische Gewicht einer Person auch hinter
Zurückhaltung, wie Sperling* in seiner
Abhandlung über spezifische Gewichte schreibt: „Das Gewicht
kann darin liegen, dass eine Person in Gesellschaft das große Wort
führt, oder darin, dass sie gar nicht spricht oder der Gesellschaft
ausweicht. Dieses Ausweichen kann wieder verschiedene Formen annehmen.“
*Alfred
Sperling, Das spezifische Gewicht als unbekannte Größe bei
der Betrachtung von Personen in fiktionalen Textwerken des 20. Jahrhunderts.
Edition „Fussnoten
zur Weltgeschichte“, o.J., vergriffen.
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