Ilse
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Kapitel 12 (leseprobe) |
am nächsten tag erzählte ich meinem freund vorsichtig von meiner begegnung mit meinem monsterzwilling. ich begann von anfang an. als ich klein war, sagte ich, hatte ich eine zwillingsschwester. aber niemand konnte sie sehen. sie versteckte sich nämlich meistens in mir. manchmal aber versteckte ich mich in ihr. dann konnte mich niemand sehen, aber alle hielten sie für mich und sprachen sie mit meinen namen an. er schmunzelte und nahm mich in den arm. meine erzählung amüsierte und rührte ihn, aber ernst nahm er sie nicht. er hielt mich für fantasiebegabt und originell. das gefiel ihm. er hatte begonnen, seiner meinung nach besonders originelle aussprüche von mir in ein kleines büchlein zu notieren. ich fühlte mich einerseits von seiner aufmerksamkeit geschmeichelt, andererseits aber auch belächelt und nicht ernstgenommen. das verhalten meines freundes erinnerte mich an situationen, wo meine eltern mich einigen älteren tanten vorgeführt hatten. ich weiß nicht mehr, was ich gesagt hatte, aber es mußte den erwachsenen wohl sehr lustig vorgekommen sein, denn sie brachen plötzlich in schallendes gelächter aus und wollten mich alle gleichzeitig umarmen. kindermund tut wahrheit kund, sagte eine der tanten immer wieder und wischte sich mit einem taschentuch tränen der heiterkeit aus den augen. |