Fritz
Widhalm |
Habe ich als Kind Musik gehört? Eine gute Frage.
Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Obwohl ich ohne elektrischen
Strom heranwuchs, gab es ein Radio in der Küche. Batteriebetrieben,
nehme ich wohl richtig an. Der elektrische Strom kam zu mir, als ich
im Alter von acht Jahren, mit Eltern und Geschwistern, von Gaisberg
nach Purgstall übersiedelte. Genaugenommen kam ich zum elektrischen
Strom. Ich bewunderte den elektrischen Strom. Sieben Jahre später
wurde ich für kurze Zeit Elektroinstallateur. Meine Freundschaft
mit dem elektrischen Strom war danach beendet. Doch ich blieb dem elektrischen
Strom durch meine damals erwachende Musikleidenschaft immer auf das
Engste verbunden. Musik? Meine Mutter hörte Musik aus dem Radio
in der Küche. Schlagermusik. Die meisten Schlager wurden von damals
populären Filmstars interpretiert. Das war damals einfach so. Die
Bilder von den Sängerinnen und Sängern wurden mir erst einige
Jahre später vom Fernsehen nachgereicht. Ohne diese Bilder wäre
die Schlagermusik meiner Mutter für mich für immer verloren
gegangen. Das Radio spielte die Musik, doch ich nahm sie kaum wahr.
Ich benötigte die Bilder von Heinz Rühmann, Hans Albers, Peter
Alexander, Hans Moser, Theo Lingen und vielen anderen. Frauen? Ja, doch.
Trude Herr, Conny Froboess, Rita Pavone, Zarah Leander und Leila Negra.
Die Bilder machten die Schlagermusik meiner Mutter für mich hörbar
und gleichzeitig sagten sie und das was ich nun zu Ohren bekam, nein
nein! Nein nein!, sagte ich, das ist nicht die Musik, die ich für
mein Leben gern hören möchte, nein nein!, das sind nicht die
Bilder, die ich für mein Leben gern sehen möchte. Einiges
davon blieb trotzdem an mir kleben. Als Bereicherung? Ich denke schon,
irgendwie wohl schon. Trude Herr stand mir auf seltsame Art nahe. Wenn
der Wecker morgens rasselt / und der Tag nimmt seinen Lauf / ist die
Stimmung mir vermasselt / denn ich steh so ungern auf. / Doch wenn tausend
Lichter glühen / bin ich jede Nacht ganz groß / und wenn
dann noch Musik erklingt / dann geht es los, sang Trude Herr auf
ihrer 1960 erschienenen Single "Morgens bin ich immer müde".
Ja, Trude Herr ahnte etwas von meinem Leben. Den Text hat zwar Aldo
Pinelli geschrieben, aber es war Trude Herr, die dieses Lied für
immer an mir festklebte, es war Trude Herr, die eine Ahnung hatte. 2012
hat die Berliner Gruppe Laing diesen Schlager in Pop verwandelt. Electro-Soul-Pop.
Ich habe mir diese Version mit Neugier und Freude angehört, doch
es wird auch weiterhin Trude Herr sein, die an mir festklebt. Von Leila
Negra klebte sich der Schlager "Die süßesten Früchte
fressen nur die großen Tiere" an mein Leben. Ein 1952 aufgenommenes
Duett mit Peter Alexander. Leila Negra war die erste Person of Color
in meinem Leben. Und Billy Mo der erste Person of Color. Billy Mo sang
1962 den Schlager "Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut":
Dann kam ich zum Militär, Kinder war das Leben schwer, sagte
zu mir Corporal, wenn du erst Gefreiter bist, wirst du auch General.
Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut, der steht mir so gut, der steht
mir so gut. Dann mach ich Sonntagabend Blasmusik, immer nur dasselbe
Stück. Waren diese Schlager meine Wegbereiterinnen zum Pop?
Ich würde sagen, nicht wirklich, aber, irgendwie doch. Einen Schlager
will ich hier trotzdem noch kurz erwähnen und zwar "Der Theodor
im Fußballtor" von Theo Lingen. Natürlich spielte ich
als Kind mit Leidenschaft Fußball. Einige Jahre auch in der Schülermannschaft
des SV Purgstall. Nein, ich war nicht der Tormann, ich spielte meist
in der Position des rechten Außendeckers. Ob ich gut war? Keine
Ahnung. Ich würde sagen, ich war unerschütterlich. Theo Lingen
war ebenfalls unerschütterlich. Er schaffte es in den dümmsten
Filmkomödien klug zu schauspielern. Später sang Theo Lingen
noch: Ich wollt, ich wär ein Huhn / ich hätt nicht viel
zu tun / ich legte vormittags ein Ei / und abends wär ich frei.
Auch dieser Schlager war mir durchaus sympathisch. Schluss mit Schlager!
Volksmusik, die gab es natürlich auch reichlich. Ich wurde in Gaisberg
geboren und verbrachte dort die ersten acht Jahre meines Lebens. Gaisberg
war ein winziger Ort mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung.
Nein, wir waren keine Bauern. Mein Vater war Hilfsarbeiter und Sozialist.
Zwischen Sozialismus und Kommunismus zog mein Vater keine scharfe Trennlinie,
ich würde sogar sagen, er meinte das Eine wenn er das Andere sagte.
Ich verstand den Sozialismus meines Vaters als Kind sehr gut. Ich verstehe
ihn noch immer sehr gut, obwohl mein Vater bereits einige Jahre tot
ist und ich mich meist als Anarchodadapunk festschreibe. Der Sozialismus
ist aber durchaus ein wichtiger Teil dieser Festschreibung. Zurück
zur Volksmusik. Meine Mutter verdiente ein wenig Geld zum kärglichen
Einkommen meines Vaters dazu, indem sie bei den Bauern als Ernte- oder
sonstige Helferin einsprang. Wir Kinder - ich habe fünf Geschwister
- verbrachten viele unserer Tage an der Seite unserer Mutter bei den
Bauern. Ja, und viele Bauern, und auch Bäuerinnen sowie Bauernkinder,
spielten ein Instrument. Oder sangen. Oder taten beides. Es gab ziemlich
viel Volksmusik nach getaner Arbeit. Eine alte Bäuerin mit Zither
und brüchiger Stimme begeisterte mich als kleiner Fritz sehr. Auch
den Klang des Hackbretts liebte ich. Die auch vorhandene Blasmusik begeisterte
mich weniger, ausgenommen der Klang der Tuba, der ließ meinen
Bauch schon als Kind so schön vibrieren. An Volksmusik aus dem
Radio kann ich mich aber nicht erinnern. Dann gab es da noch eine andere
Musik, die Musik meines Vaters. Arbeiterlieder aus der Sozialistischen
Arbeiterbewegung. Zur Gitarre und Ziehharmonika wurde Drum links,
zwei, drei! / Drum links, zwei, drei! / Wo dein Platz, Genosse, ist!
/ Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, / weil du auch ein Arbeiter
bist und andere Arbeiterlieder intoniert. Ich war als Kind stolz
darauf Arbeiter zu sein. Ich konnte als Kind einige Arbeitslieder auswendig
wiedergeben. Kirchenlieder konnte ich kein einziges. Ich war als Kind
stolz darauf, sonntags nicht in die Kirche gehen zu müssen. Die
Musik, die mein Leben prägte, wurde aber Pop, ist Pop. 1972, ich
war sechzehn Jahre alt, kaufte ich stolz meine erste Single: "Silvia's
Mother" von Doctor Hook And The Medicine Show. Auf der Rückseite
befand sich der Song "Makin' It Natural". Eigentlich liebte
ich zu dieser Zeit vorwiegend Glam: David Bowie, Marc Bolan, Roxy Music.
Natürlich liebte ich auch The Sweet, Slade, und ein wenig sogar
Gary Glitter. "The Ballroom Blitz" von The Sweet gehört
noch immer zu meinen Lieblingspopsongs. Aber schaffen wir Ordnung in
meinen Gedanken. Ich arbeite an einer Liste, der ich den Dateinamen
thestoryofpop.doc gegeben habe. Nein, ich will in diesem work
in progress nicht die wahre, wirkliche oder sonstwie Geschichte
des Pop schreiben. Die Liste sowie dieses work in progress
ist meinen Launen und meinem Leben ausgeliefert, sprunghaft und hysterisch.
Doch bin ich durchaus der Meinung, dass es nicht nur meine Launen und
mein Leben sind, die hier aufgeschrieben werden. Die
Liste nimmt ihren Anfang. |