Fritzchens Alterswerk

Seite 20

(...)
ich bin ein pseudonym.
ich bin mein pseudonym.
warum fritz widhalm?
weil es die gleichen initialen wie das fröhliche wohnzimmer hat.
closeF.W.
weil es die gleichen initialien wie unsere adresse hat, fuhrmannsgasse wien.
closeF.W.
als dichter*in habe ich bisher 3 pseudonyme benützt, die anderen beiden bleiben geheimnis.
fritz widhalm ist mein alltagspseudonym.
ich bevorzuge gewöhnliche pseudonyme.
außergewöhnliche pseudonyme begeistern mich wenig, aber was solls, was solls.
ilse hat angerufen, ich muss jetzt schluss machen.

(…)
seit ich nicht mehr so gut höre, meide ich das gespräch. ich trage jetzt zwar hörgeräte, aber ich meide weiterhin. hören ist für mich zur arbeit geworden, arbeit, die man nicht einfach so nebenbei verrichten kann.
closeich lese viel.
closeich lese gern.
closeich lese sehr viel.
closeich lese sehr gern.
mit dem hören von musik, habe ich leider so meine probleme. das ist etwas traurig.
closeich höre gern musik.
closeich höre viel musik.
closeich höre sehr gern musik.
closeich höre sehr viel musik.
auch mit hörgeräten, nur kann ich leider nicht mehr genau feststellen, ob das, was ich höre, das ist, was gespielt wird. das ist vielleicht immer so, aber früher hatte ich zumindest die illusion, dass es nicht so ist.
wissenschaft ist nicht nur eine geschichte des wissens, wie sie sich gerne präsentiert, sondern auch eine geschichte des irrtums.
kunst ist eher eine geschichte der (un)möglichkeiten, denke ich.
oder denke ich zu viel?
closebumm tschaka bumm.
ich habe meine version des songs "see that my grave is kept clean" aufgenommen und ein video dazu gemacht.
die erste aufnahme des songs stammt vom bluesmusiker blind lemon jefferson und erschien 1928 bei paramount records. als songwriter ist blind lemon jefferson angegeben. manchmal wird auch der bluesmusiker walter 'furry' lewis als songwriter genannt oder es steht schlicht und einfach traditional in klammer unter dem titel.
es gibt zahlreiche versionen von "see that my grave is kept clean", besonders schätze ich die version des japanischen popmusikers keiji haino. er hat 2004 beim label les disques du soleil et de l'acier zwei alben mit dem titel "black blues" veröffentlicht, "black blues (violent version)" und "black blues (soft version)". auf beiden alben sind die gleichen songs zu finden, eben in einer violent version und einer soft version. ich ziehe die soft version von "see that my grave is kept clean" der violent version vor, obwohl diese auch sehr hörenswert ist. eine wunderschöne liveversion des songs gibt es von der us-amerikanischen popmusikerin diamanda galas, sie ist auf dem 2003 bei mute records erschienenen album "la serpenta canta" zu finden.
closebumm tschaka bumm.

(…)
lesen ist eine wunderbare art von beschäftigung.
martin büsser schreibt in seinem buch "wie klingt die neue mitte?":
es gibt nämlich auch noch einen anderen weg, sich an pop und pubertät zu erinnern - unter anderem aus dem bedürfnis heraus, den nostalgischen blick auf die jugend in eine zukunftsgerichtete gesellschaftsutopie umzumünzen und damit unabhängig vom biologischen alter die momente der intensität und mit ihnen das recht auf tagtraum, ausschweifung und auflehnung gegen den zweckbestimmten ökonomischen alltag einzuklagen. dieses moment kann allerdings nur denjenigen ein bedürfnis sein, die popkultur nicht bloß als angenehme, aber letztlich biographisch folgenlose berieselung empfunden haben, als bloß nostalgischen schauer beim wiederhören eines songs, der im autoradio lief, als man zum ersten mal geknutscht hat, sondern für die sie eine ästhetische erschütterung darstellte, die als 'gesellschaftliche antithesis zur gesellschaft', als welche adorno kunst bezeichnete, den eindruck einer möglichen anderen gesellschaft vermitteln konnte. und damit bin ich wieder beim punk angelangt. dort nämlich waren pubertät und popkultur nicht alleine verbunden mit der sehnsucht nach jugend, sondern mit der utopisch nach vorne gewandten sehnsucht, ein ganz bestimmter, nämlich pubertärer zustand möge anhalten und als solcher nie aus dem leben verschwinden: der zustand, sich der welt gegenüber aufgrund ständiger intensiver erlebnisse nahe zu fühlen, zugleich aber fremd gegenüber der art, wie gesellschaft beschaffen ist.
closeokay.
ich wurde als baby geboren, dann wurde ich friedrich getauft und kind genannt, mit 15 jahren kam pop und die pubertät über mich, ja, und nächstes jahr, 2021, werde ich 65 jahre alt und gehe in pension, rente oder wie man es nennen will.
closeokay.
ilse findet diese schreibung meines lebens nicht okay, sie meint, es könnte menschen, die die meiste zeit ihres lebens einen scheißjob machen mussten, beleidigen.
closeokay.
ilse und ich teilen die meinung, dass niemand ein leben lang einen schlecht bezahlten scheißjob machen soll.
gesellschaftlich notwendige scheißjobs gehören gut aufgeteilt und bestens entlohnt.
auch das prestige solcher jobs muss ein hohes sein.
die idee mit der pubertät, als zeit des denkens, grübelns, diskutierens und verändern wollens, finde ich gut und damit auch das verlangen, sie bis ins alter zu bewahren. nein, nicht diese mainstream-idiotie vom jungbleiben, jungfühlen und sonstigem jungblabla, sondern einfach nicht mit dem denken, grübeln, diskutieren und verändern wollen bis ins hohe alter aufzuhören. man kann auch mit dem rollator eine fridays for future demonstration besuchen, auch mit einem rollator auf dem groß NO FUTURE gesprüht steht.
closeokay.
warum mit 65 in pension?
ich werde höchstwahrscheinlich weder mit dem denken, grübeln, diskutieren noch mit dem verändern wollen schluss machen, womit ich aber schluss mache, ist das drängeln um präsenz und anerkennung als künstler*in, das erforderlich ist, erstens) um als künstler*in erkannt zu werden, zweitens) um als künstler*in anerkannt zu werden und drittens) um als künstler*in etwas geld zu verdienen.
closeokay.
ich hoffe, ich war nie besonders rücksichtslos im drängeln.
ich denke, es ist nichts besonderes, künstler*in zu sein, es ist eine möglichkeit, sich den nötigen raum zu schaffen, zum denken, grübeln, diskutieren und verändern wollen.
closeokay.
ich bin heute nicht gerade guter laune.
eigentlich lehne ich laune für mich ab.
manchmal gehe ich mir ziemlich auf den wecker.
in unserem, also ilses und meinem haushalt, gibt es zwei wecker, einen wecker der grunzt und einen radiowecker.
uhren mit zusätzlicher weckfunktion gibt es laut wikipedia seit dem 14. jahrhundert, dante alighieri beschreibt in seiner 1320 erschienenen "göttlichen komödie" bereits ein uhrwerk, das mit einem weckmechanismus ausgestattet ist.
ich habe dantes "göttliche komödie" bisher nicht gelesen, vielleicht werde ich es noch tun, vielleicht auch nicht.
das mit dem diskutieren ist schwieriger geworden, ich höre schlecht ohne hörgeräte und mittelmäßig mit hörgeräten. ich bemühe mich.
closeokay.
schluss für heute, 25.06.2020.

(...)
kunst ist die fähigkeit zum schluss zu kommen, yeah.
wie dem auch sei, ich komme durchaus gerne zum schluss.
liv strömquist schreibt in ihrem comic "ich fühls nicht":
byung-chul han ist der ansicht, dass die bloße addition und akkumulation im kapitalismus uns die fähigkeit nimmt, zum schluss zu kommen. der ultimative schluss ist natürlich der tod, und darin sind wir und unsere kultur richtig krass schlecht. vielleicht war es schon immer so, dass die menschen schlecht im sterben waren, aber es fühlt sich so an, als ob wir heute, genau jetzt, historisch beispiellos schlecht im sterben sind. ein beispiel dafür, wie wir den tod verdrängen, ist natürlich, dass wir versuchen, unser altern zu verschleiern. ein weiteres beispiel könnte sein, dass diejenigen, die die möglichkeit dazu haben, sich immer wieder neue partner*innen suchen. ein drittes beispiel ist unsere totale fetischierung von 'gesundheit'. ist 'gesundheit' vielleicht das einzige, das menschen noch interessiert?
ich bin arm, sage ich.
du bist nicht arm, sagt ilse.
oh doch, sage ich, ich fühls.
ich habe kein mitleid mir mir, ich habe meinen sinn gefunden, ich denke, grüble, diskutiere und will verändern. manchmal gelingt es mir auch.
ich bin reich, sage ich.
du bist nicht reich, sagt ilse.
oh doch, sage ich, ich fühls.
eigentlich lehne ich große gefühle für mich ab.
byung-chul han ist philosoph und autor, er wurde 1959 in seoul, südkorea geboren und lebt heute in berlin, germany. sein buch "kapitalismus und todestrieb" erschien 2019 beim verlag matthes & seitz. der comic "ich fühls nicht" von liv strömquist erschien 2019 beim avant-verlag.
lesen ist eine wunderbare art von beschäftigung.
ich habe mir heute die bücher "bowies bücher - literatur, die sein leben veränderte" von john o'connell, "sengendes licht, die sonne und alles andere - die geschichte von joy division" von jon savage und "metamorphosen - die unwahrscheinlichen wandlungen des heavy metal" von jörg scheller gekauft. da wegen corona alle unsere geplanten reisen storniert werden mussten, habe ich ein kleines guthaben auf meiner visa-karte. guthaben halten sich bei mir nie lang, ich vertraue auf neue guthaben, obwohl ich meist keine ahnung habe, woher die kommen sollten.
kennt ihr die französische band ddaa (deficit des annes anterieures)?
die gibt es seit 1975 und sie macht tollen experimental pop.
yeah.
lernt sie kennen.

(...)
ich habe mein gedicht für den vorletzten sammelband unserer edition das fröhliche wohnzimmer geschrieben.
vier strophen zu je vier zeilen, lautete unsere vorgabe für die zur mitwirkung eingeladenen autor*innen.
mein gedicht trägt den titel ein gedicht.

closeerklärungen gibt es viele auf dieser welt
closeich trinke einen kaffee und esse gugelhupf
closeich bin uneinsichtig, trotzdem mag ich erklärungen
closeich trinke einen zweiten kaffee, ohne gugelhupf

closemein leben ist warm von der sonne
closeaber das interessiert mich eigentlich nicht
closeich bin alt und trinke gerne kaffee, bier auch
closeund dann wachsen mir flügel, rosarote flügel

closeerklärungen teilen mich in zwei hälften, mindestens
closeauf meinem körper beginnt zartes grün zu sprießen
closeaber es dauert nicht lang, dann läuft mein denken weg
closemein denken ist so alt, noch viel älter als ich es bin

closees ist ein denken, über das ich nur staunen kann
closein meinem denken ist alles erfunden, sogar ich selbst
closewahrscheinlich gehöre ich ins museum oder ins bett
closeich trinke noch einen kaffee, den vierten

open. das buch wird "sammlung" heißen und 40 gedichte von 40 autor*innen sowie 40 fotos von schweinen aus unserem glücksschweinmuseum enthalten. closed.
für jedes der 40 gedichte werde ich ein passendes schwein aussuchen.
2021 wird der letzte wohnzimmersammelband erscheinen. im juli 2021 werde ich 65 jahre alt.
das fröhliche wohnzimmer wird aber weiterhin eine erscheinung bleiben.
auch das glücksschweinmuseum wird 2021 seine pforte schließen. wie bereits erwähnt, ich komme durchaus gerne zum schluss.
close
ich sage gerne und und und.
ich komme durchaus gerne zum schluss.
ich sage gerne schluss.
ich komme durchaus gerne zum und und und.
ich mag staubwedel.
der staubwedel besteht aus einem dünnen, leicht biegsamen stab, an dem viele borsten aus kunststoff, federn oder ähnlichem angebracht sind. die borsten sind weich und biegsam, damit die möbel nicht zerkratzt werden.
closecystofix
closemarmorguglhupf
closekremšnita
closehumoralpathologie
closestuhlgang
closeetcetera
closewiederholung
closeprostata
closestaubwedel
neun schöne worte. wieviele schöne worte werden sich in meinem alterswerk wohl ausgehen?
in alphabetischer reihenfolge:
closecystofix
closeetcetera
closehumoralpathologie
closekremšnita
closemarmorguglhupf
closeprostata
closestaubwedel
closestuhlgang
closewiederholung
neun schöne worte. alterswerk ausgehen in meinem schöne sich werden wieviele wohl worte?
ich mag alphabetische reihenfolge.
ich habe auf meinem computer ein gedicht gefunden, dem ich den titel gedicht nr.1/2012 gab. keine ahnung, ob ich es je irgendwo veröffentlicht habe.

closesuche ich etwas?
closees ist dunkel
closeich kann aber nicht einschlafen
closees ist nicht mehr sehr dunkel
closewas tue ich, während ich nicht schlafe?
closeach, ich denke!
closeich mache einige gedanken
closesie sind groß
closesie sind - zweifellos
closeziemlich groß
closesie sind ein doppelbett
closeich habe allen platz der welt
closewas, ist es schon tagsüber?
closeja sicher, aber wie lange noch?
closejedenfalls kenne ich das tagsüber
closeich setze mich auf die bettkante
closenein, es fehlt mir nichts!

wie würde dieses gedicht in alphabetischer reihenfolge aussehen?
erster versuch, zeile für zeile:

closeetwas ich suche?
closedunkel es ist
closeaber einschlafen ich kann nicht
closedunkel es ist mehr nicht sehr
closeich ich nicht, schlafe tue während was?
closeach, denke ich!
closeeinige gedanken ich mache
closegroß sie sind
closegroß sie - zweifellos
closegroß ziemlich
closedoppelbett ein sie sind
closeallen der habe ich platz welt
closees, ist schon tagsüber was?
closeaber ja, lange noch sicher wie?
closedas ich jedenfalls kenne tagsüber
closeauf bettkante die ich mich setze
closees, fehlt mir nein nichts!

zweiter versuch, von oben bis unten:

closeaber aber ach?
closeallen auf bettkante
closedas denke der die doppelbett
closedunkel dunkel ein einige einschlafen es
closees es es, etwas fehlt gedanken groß?
closegroß, habe ich!
closeich ich ich ich
closeich ich ich
closeich ich - ich
closeist ist
closeist ja jedenfalls kann
closekenne lange manche mehr mich mir
closenein, nicht nicht nicht nichts?
closenoch platz, schlafe schon sehr setze?
closesicher sie sie sind sind
closesuche tagsüber tagsüber tue während was
closewas, welt wie ziemlich zweifellos!

okay, schluss. ich mag staubwedel. ich mag alphabetische reihenfolge und noch einiges mehr.
unmerkliches schulterzucken, zum beispiel.
ein langes schweigen, zum beispiel.
und graue acrylfarbe.
gedichte natürlich auch.

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