Kapitel 67: Von der Arbeit des Weinens und den sich drehenden Winden


Ich beginne mit einem Gedicht von Adrienne Rich, diesmal auf Englisch. Eine Übersetzung habe ich nicht gefunden. Vermutlich könnte ich es übersetzen, aber ich denke, das können viele Leserinnen und Leser dieses kleinen Blogs auch. (Wenn jemand es übersetzt und mir die Übersetzung zusendet, werde ich sie dieser englischen Originalfassung an die Seite stellen, versprochen, die erste Übersetzung, die eintrifft, werde ich diesem Gedicht an die Seite stellen!)
Das Gedicht handelt jedenfalls von den Tränen, die der Duft von Zwiebeln hervorruft. Sie sind nicht Kummer allein, die Zwiebeltränen, und sie sind nicht die einzigen Tränen, um die es geht. Besonders gut gefällt mir die Aussage über das Weinen als Arbeit, labour nämlich, nicht work.

Adrienne Rich:
"Peeling Onions"

Only to have a grief
equal to all these tears!

There's not a sob in my chest.
Dry-hearted as Peer Gynt

I pare away, no hero,
merely a cook.

Crying was labour, once
when I'd good cause.
Walking, I felt my eyes like wounds
raw in my head,
so postal-clerks, I thought, must stare.
A dog's look, a cat's burnt to my brain-
yet all that stayed
stuffed in my lungs like smog.

These old tears in the chopping-bowl.

(Das Gedicht "Peeling Onions" wurde erstmals publiziert in dem Gedichtband "Snapshots of a Daughter-in-Law", New York 1963.)

Und weil es den Kummer gibt, mit und ohne Zwiebeln, ist das zweite Gedicht eines, das das Leben leichter machen will, ein "Verschenkter Rat" gewissermaßen. Dieser verschenkte Rat stammt von Mira Mann. Ihr Buch heißt "Gedichte der Angst" und ist in der Parasitenpresse erschienen.

Mira Mann:
Vitamin D nehmen
Nüsschen essen
Jeden Tag Sport treiben

Eigentlich gar nicht so schlimm

Gar nicht schlimm, möchte man sagen, Zwiebeln schälen, weinen, Nüsschen essen. Und doch: Die Klarheit, dass das alles gar nicht schlimm ist, ist jene, dass es eben nicht "gar nicht schlimm" ist, was Schlimmes bedeutet. Bei Mira Mann ist das Schlimme die Feststellung einer Krankheit, die daran erinnert, dass eben nichts einfach bleibt, wie es ist, und zwar auch dann nicht, wenn das, was ist, eigentlich zufriedenstellend ist, zum Beispiel die Gesundheit. Auch sie bleibt nicht. Sie bleibt bei niemanden, aber vielleicht kann man sie ein bisschen zum Bleiben überreden, mit Nüsschen und Sport, und, ganz wichtig: Vitamin D. Das kleine Wörtchen "eigentlich" gehört zu meinen Lieblingsworten, versieht es doch jede Aussage mit einem kleinen Fragezeichen, einem relativierenden Augenzwinkern. Mein zweites und drittes Lieblingswort in dieser Hinsicht sind "quasi" und "sozusagen". Ich habe meinen Lieblingsworten einmal ein eigenes Gedicht gewidmet, aber heute will ich dieses Kapitel mit einem Gedicht von Adelheid Dahimène abschließen, es ist das Gedicht von den drehenden Winden, das aus ihrem Gedichtband "Blitzrosa Glamour", Klever Verlag 2009, stammt. Nichts bleibt, wie es ist. Wir nicht und auch sonst nichts. Und, nein, auch das Kapitalozän und das Anthropozän bleiben nicht, was sie sind. Auch davon soll noch ein Lied gesungen werden. Das Lied zum Beispiel, das Dana Lyons singt und das man sich hier anhören und ansehen kann. Es heißt "Cows with Guns".
Jetzt aber beschließe ich dieses Kapitel mit dem Gedicht von den drehenden Winden.

Adelheid Dahimène:
Sing das Lied von den drehenden
Winden Schau nicht in den toten
Winkel Schenk mir einen Wackerstein

Schwer mich auf deiner Seite dass
ich umfall so leicht wie ein Märchen
gesponnen aus Haaren und Stroh

Werde die Goldmarie sein am Grund
deiner Wasser reif für die Äpfel
und die Wärme vom Brot

Grab mich ins Fell weiß wie Schaf
erwecke den Wolf dass er bloßliegt
in seinem Hunger und heult