Kapitel 75: Worte. Worte. Und Worte. |
Ich werde ab jetzt das Datum dazuschreiben, wenn ich einen Beitrag für meinen Gedichte-Blog schreibe. Warum? Es ist vielleicht nicht uninteressant, für mich selbst, aber auch für Leserinnen und Leser. Also: heute ist der 25. Oktober 2020. Ich beginne mit einem Gedicht von Franny Choi. Es handelt von Worten und Wörtern, ja, von der Sprache selbst, die uns immer von neuem überraschen und erschrecken kann. Die Sprache kann uns helfen die Welt zu verstehen, manchmal aber steht sie uns nicht zur Seite, wir knien und schwitzen, wir benützen die Worte, versuchen zu reparieren, wir halten an, wir halten ein, die Worte sind löchrig und porös, aber sie sind, was wir haben: We Used Our Words We Used What Words We Had we used our words we used
what words we had Franny Choi (born February 11, 1989) is a queer
Korean-American writer and poet. Das sagt die Wikipedia zu Franny Choi.
Ihr Gedicht habe ich zufällig entdeckt, ebenso zufällig ein
anderes, das ich empfehle, sich im Netz anzuhören. Das Gedicht
heißt: "Whiteness Walks into a Bar". Es ist ein Kommentar
zum Leben unter den Bedingungen des allgegenwärtigen, alltäglichen
Rassismus. Als ich Franny Choi entdeckte, war ich eigentlich dabei, über die Dichterin Don Mee Choi zu lesen. Auch sie ist eine koreanische Dichterin. Sie lebt in Seattle. Ihr Gedicht, das ich jetzt zitiere, passt insofern gut zum Gedicht über die "Worte, die wir haben", weil es sich mit der Sprache an sich befasst. Das Gedicht heißt: "I refuse to translate". Übersetzung ist immer ein heikles Unterfangen.
Die Übertragung eines fremden Textes in die (meistens) eigene Sprache
bedeutet immer eine Nachdichtung, ein Versuch, in einer anderen Sprache
Worte und Wörter zu finden, die dem Original nahekommen. Ich kann
nicht viele Sprachen gut genug, um literarische Texte zu lesen. Falsch:
Ich kann kaum eine Sprache gut genug, um darin überhaupt zu lesen.
Übersetzung ist für mich also ein Stück Notwendigkeit. I Refuse to translate Ich kann dieses Gedicht mehrheitlich nicht "verstehen",
wenn verstehen heißt, den Inhalt nachzuerzählen. Die koreanischen
Zeichen lassen es wie ein Stück visueller Poesie aussehen, für
mich. Und ich bin damit vielleicht nicht allein. Ich kann versuchen,
mir einen Reim darauf zu machen, auch deshalb, weil ich es nicht lesen
kann. Ich kann Überlegungen anstellen oder über die koreanische
Sprache nachlesen, darüber, wie sie geschrieben wird, darüber,
dass sie seit dem 15 Jahrhundert ein nur leicht verändertes Alphabet
benutzt, darüber, dass sie eine agglutinierende Sprache ist, wie
etwa das Ungarische, mit dem sie aber ansonsten wohl nicht viel gemeinsam
hat. Ich kann mir etwas Koreanisches im Internet anhören, um den
Klang der koreanischen Sprache zu hören, ich könnte sogar
einen Online-Kurs machen, um koreanisch zu lernen. Das Unbekannte zur Kenntnis zu nehmen ist Teil des Wissens. (Sie bezieht sich dabei auf alte Landkarten, auf denen es so etwas wie "Terra Incognita" gab). |