Kapitel 85: Kooperationen und Wege


Durch das Buch "Der Pilz am Ende der Welt" von Anna Lowenhaupt Tsing, das ich gerade gelesen habe, bin ich auf den Pilz namens Matsutake aufmerksam geworden. Er liebt es, mit Bäumen in symbiotischen Beziehungen zu leben. Symbiose ist dabei einerseits Abhängigkeit, andererseits aber auch Kommunikation und Erweiterung der jeweiligen Ressourcen und Spielräume.
Lebewesen brauchen andere Lebewesen, sie verbünden sich, um einander bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Und so machen es die Matsutake Pilze, deren Geschichten Anna Lowenhaupt Tsing nachzeichnet. Ihrem Buch verdanke ich auch den Hinweis auf das folgende Gedicht von Basho, dem japanischen Dichter.

Hier zunächst die japanische Fassung:

Im lateinischen Schriftsystem niedergeschrieben sieht das Gedicht so aus:

matsutake ya sss shiranu ko no ha no sss hebaritsuku

Und nun eine Übersetzung von Reginald Horace Blyth:

The leave sss of some unknown tree sss sticking on the mushroom.

Auf deutsch:

Matsutake, und auf ihm klebt sss Das Blatt eines unbekannten Baums.

Diese deutsche Übersetzung habe ich dem Buch von Anna Lowenhaupt Tsing entnommen.

John Cage hat sich ebenfalls mit dem Übersetzen dieses Haikus befasst, seine erste Version lautete so (die deutschen Übersetzungen wiederum von Anna Lowenhaupt-Tsing):

Das, was unbekannt ist, bringt Pilz und Blatt zusammen.

Aber John Cage befasste sich weiter mit dem Thema, auf der Suche nach einer, ich nenne es jetzt "leichtfüßigen Unbestimmtheit".
Seine Überlegungen und führten zu der folgenden Version:

"Welches Blatt? Welcher Pilz?"

Wer John Cage selbst zuhören möchte und seine Überlegungen dabei nachvollziehen will, hier ein Video, in dem er über Bashos Haiku und seine Auseinandersetzung damit spricht. Was ich nicht wusste ist, dass John Cage sich auch mit Mykologie, der Wissenschaft von den Pilzen befasst hat und dass nach ihm sogar eine Pilzart benannt wurde, nämlich Cortinarius cagei, mit deutschem Namen Zweifarbiger Wasserkopf, ein Pilz aus der Gruppe der Schleierlinge.

https://www.youtube.com/watch?v=XNzVQ8wRCB0

Die Art des Verbundenseins zwischen Lebewesen verschiedenster Art sollte uns vielleicht mehr beschäftigen, denn auch wir selbst sind nicht nur einfach wir, oder vielleicht doch, also es stimmt schon, dass Ilse Ilse ist, aber Ilse, benötigt die Mitarbeit und Präsenz anderer Lebewesen, um Ilse zu sein, sein zu können.

Ich liebe Menschen sehr.

Das sagt Kae Tempest in ihrem Essay "Verbundensein", einem kleinen Plädoyer für die gegenseitige Hilfe und für deren gesellschaftsverändernde Kraft. Und:

Gesprochene Gedichte bringen Ausgeglichenheit in einen Raum.

Immerhin. Das ist ja nicht nichts, den Raum zu verändern. Und Veränderung im Raum ist vielleicht das, was uns in Verbindung bringt mit anderen Tieren, vielleicht auch Pflanzen, mit Dichtern und Dichterinnen, mit Gärtnern und Gärtnerinnen undsoweiter undsofort.

Zum Abschuss ein Bild:
Veränderung im Raum kann auch so aussehen. Wir sind nicht allein. Mit uns Menschen.