Kapitel 94: Diese Sache mit der Angst und dem Gras, der Wiese und der Verstörung


Ich beginne mit einem Gedicht von Evelyn Holloway. Es steht in ihrem zweisprachigen Gedichtband "Words through Walls", der in der Edition Sonnberg im Jahr 2023 erschienen ist. Die Übersetzungen stammen von der Autorin selbst. Gelesen hat Evelyn Holloway das Gedicht in der deutschsprachigen Fassung bei der großen Lyriklesung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung. Das "Gedicht gegen die Angst" gehört zu den Gedichten, die eine tröstliche Wirkung entfalten. Auch deswegen natürlich, weil es daran erinnert, dass niemand alleine ist mit der Angst oder den Ängsten. Zugleich erinnert es daran, dass es möglich ist, Angst und Ängste in die Schranken zu weisen, dass man entfliehen kann, hin zu anderen Dingen, mit Aufmerksamkeit und Sanftmut. Sanftmut könnte wichtig sein, da in ihr ein Stück Mut steckt. Vielleicht ist das Gedicht ein Versuch, der Angst mit (Sanft)Mut zu begegnen. Hier die englische Version.

POEM AGAINST FEAR

Caress a leaf
Kiss a dog
Adore your sleep
Empty the glass
Cradle the book
Embrace the air
Tickle the grass
Hurt no child
Learn in your dreams
Write down what is
Nourish the day
Do not hesitate
Stay - like snow
Open the door
Invite someone
Give yourself
Ride across fields
Rest awhile
Touch the world

Besonders gefällt mir die Zeile: "Tickle the grass." Ich kann mir gut vorstellen, wie das Gras in gewisser Weise zurück kitzelt. Barfuß auf Gras zu stehen kann jedenfalls ein wunderbares Erlebnis sein. Ja, und "die Luft umarmen" ist gar nicht sooo schwer. Wir sollten das vielleicht alle des öfteren versuchen. Vielleicht können wir es in unseren Träumen üben.

Ich denke jetzt an ein Buch zum Thema Angst von Daan Herma Van Voss, es hat den Titel "Die Sache mit der Angst", erschienen ist es 2023 bei Diogenes und es ist die Geschichte einer Person, die der Angst - nunja - zu entkommen versucht und dabei die Geschichte ihrer Angst, ihrer Ängste kennenlernt, die sozusagen eine Familiengeschichte ist, also es gibt Verwandtschaften zwischen den Ängsten aber auch zwischen den Ängstlichen. Ebenfalls eine Lese-Empfehlung.

Nun zum zweiten Gedicht des Kapitels. Es stammt von Daniela Danz und steht im Gedichtband "Wildniß", der bei Wallstein im Jahr 2020 erschienen ist. Wir müssen uns vor der Zukunft nicht unbedingt fürchten, aber es ist offensichtlich, dass die Gegenwart wenig Beruhigendes zu bieten hat. Und, aber doch. Eben. Es gibt sie, die Gegenwart und den Frühling, und uns gibt es auch.

UM ES KURZ ZU MACHEN WIR HABEN DIE ZUKUNFT

an unsere Gelenke gebunden damit sie nicht
abhaut und ja Kredite auch und Verbindlichkeiten
es bleibt nicht viel Zeit zum Betrachten der Nacht
und während eine weitere Konferenz versucht
die Hoffnungen zu Garben zu raffen sitzen wir
im Licht der Bildschirme und vergeben Signaturen
im Archiv all dessen was uns noch bevorsteht
eine kleine Sache fällt uns ins Auge: ein Tag
im Vorfrühling wo überall aus der Wiese Triebe
von Hyazinthen brechen die da noch nie waren

Noch ein kleiner Hinweis: In den Nachbemerkungen schreibt Daniela Danz, dass mit der im Gedicht genannten "weiteren Konferenz" der UN-Klimagipfel 2019 in New York gemeint ist.

Randbemerkung: Ich musste heute an das Gras-Kitzeln denken, aber ich habs nicht gemacht, die Wiese im Alten AKH sah irgendwie welk aus, es waren Rasenziegeln, die den Eindruck machten, nicht richtig festzuwachsen. Vielleicht hätte ich sie ermutigend kitzeln sollen, aber es reichte nur für eine kleine Berührung mit der Hand. Dann radelten wir weiter, sahen Hyazinthen, dann auch andere Blumen, ich glaube es waren Buschwindröschen. Der Wind pfiff uns um die Ohren und um die Köpfe, ich auf meinem orangefarbenen Rad, das ich endlich wieder an die frische Luft bringen konnte, und Fritz mit seinem roten Rad, wir rollten so dahin, auf luftigen Reifen, jetzt sind wir schon wieder daheim, wie es eben so ist, wenn ein Tag vergeht und schließlich vergangen ist.

Ich schließe mit einem eigenen Gedicht, da kommen der Trost und die Verstörung zusammen:

Verstörtes Gedicht

Es ist wohl nur ein Zufall,
dass aus verstoert verrostet entsteht,
wenn man die Buchstaben verdreht.

Ich hole Luft. Noch steht die Welt,
als ob. Als ob ist fix.
Wir üben alle Tricks.

Das Uhrwerk surrt.
Vertroeste die verstoerte Wirklichkeit,
die wir erleben. Stoerende auf Zeit.