Ich beginne dieses Kapitel mit einem Text von Wolfgang Borchert. Wolfgang Borchert lebte von 1921 bis 1947, seine durchaus dramatische und weitgehend glücklose Lebensgeschichte kann man leicht nachlesen, er war etwa wegen Wehrkraftzersetzung und nach dem sogenannten Heimtückegesetz vor Gericht. In meiner Schulzeit gehörte seine Prosa zur Unterrichtslektüre.
Ich habe im Herbst 2024 ein Buch von ihm bei der Buchverlosung der Poesiegalerie gewonnen, es heißt "Laternenträume" und ist mit schönen Illustrationen von Roberta Bergmann versehen (erschienen im Verlag kunstanstifter).
Ja, natürlich, der Versuch, gut zu sein lohnt sich immer, und immer wieder, es ist aber ein Versuch, immer wieder ein Versuch, jedenfalls im Gedicht. Es ist nicht immer ganz einfach, sich darunter etwas vorzustellen. Oder doch? Ich nehme an, dass die Versuche, die im Gedicht gemeint sind, sich aus vielen kleinen und auch kleinsten Versuchen zusammensetzen. Und die gibt es natürlich. Sie sind auch gar nichts so Besonderes, einfach eine Erinnerung daran, dass wir am Leben sind und solange dies der Fall ist, sollte es diese Versuche geben, gewissermaßen selbstverständlich. Ob man sich mitten in das Feuer stellen will, weiß ich allerdings nicht, aber natürlich ist das Feuer mehr als ein Ungeheuer, so wie auch der Regen mehr sein kann als ein Tropfensegen und der Wind mehr als ein Sturm. Der Klimawandel weiß darüber Bescheid.
Hier das Gedicht von Wolfgang Borchert:
Versuch es
Stell dich mitten in den Regen,
glaub an seinen Tropfensegen
spinn dich in das Rauschen ein
und versuche gut zu sein!
Stell dich mitten in den Wind,
glaub an ihn und sei ein Kind -
lass den Sturm in dich hinein
und versuche gut zu sein.
Stell dich mitten in das Feuer,
liebe dieses Ungeheuer
in des Herzens rotem Wein -
und versuche gut zu sein!
Und was stelle ich nun diesem Gedicht gegenüber, was lasse ich diesem Versuch zur Güte folgen? Vielleicht ein kleines Zitat von Ilse Helbich, dieser scharfsinnigen Schriftstellerin, die (auch) ihr hohes Alter zum Thema ihres Schreibens gemacht hat und als Wichtigkeiten das Folgende benennt:
Geschwisterlichkeit gegenüber allem Lebendigen. Die einfache Geste, das Hinüberreichen, das Berühren mit einem Wort, Handreichung auch für Fremde.
Auch das klingt schrecklich einfach. Möglicherweise wäre ein bisschen Übung nicht schlecht. Vielleicht auch ein bisschen Nachhilfe in gegenseitiger Hilfe? Es könnte nicht schaden. Halten wir also Ausschau nach solchen Möglichkeiten.
Schließen möchte ich dieses Kapitel mit einem Gedicht von Susan Kreller. Es ist nicht einfach optimistisch, lenkt aber die Aufmerksamkeit auf Glücksmomente, die quasi als Basis zur Freundlichkeit auftreten könnten. Es steht im Buch "In wenigen Worten die ganze Welt. Gedichte für Kinder und Erwachsene", erschienen im Thienemann Verlag. Bilder von Daniela Kulot begleiten die Gedichte der verschiedenen Autorinnen und Autoren in diesem Buch. Das Bild zu dem erwähnten Gedicht zeigt den Himmel, der den Erdbewohner:innen Brotweckerln schenkt. Alles klar.
Nun das Gedicht:
Von Glück reden
Man kann von
Glück
reden
Von Regen auf Fenstern
wie Blindenschrift,
Kakao ohne Haut,
vom Wiederfinden,
nicht Verlieren,
warmem Brot und
weichen Fragen,
von Freunden
und
Fischen
und
tanzenden Schatten
im Schnee
Frau Litteks Art,
Likör zu trinken,
Schluck für Schluck
Von Büchereien und
wie es dort riecht,
von leichten Tagen
im Mai oder November,
Löwenherzen,
Pfauenaugen
und
davon
dass man
von Glück
reden kann
Ist noch etwas hinzuzufügen? Eigentlich nicht. Oder nicht viel.
Also schließe ich das Kapitel ab und hebe mir das Hinzufügen für das Kapitel 100 auf. Es kommt als nächstes dran, da ja nach 99 die zahl 100 kommt.