Fritzchens Alterswerk

Seite 88

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voilà, ein kleiner nachtrag von unserem venedigaufenthalt. diese warnhinweise habe ich am friedhof cimitero s. michele fotografiert. meine erste reaktion auf diesen hinweis war ein schmunzeln, aber wenn man sich die riesigen seagulls genauer anschaut, weiß man sofort, dass er durchaus ernstzunehmen ist.
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ja, es ist ratsam, sich den seagulls nicht zu nähern und sie aus sicherer ferne zu bewundern.
gestern, 04.08.2022, hat dieser fritz, der ich bin, noch bin, wieder mal zu tief ins bierglas geguckt und gedanken zur explosion gebracht, die besser ungezündet geblieben wären. na ja, alle anwesenden blieben unverletzt. jetzt wird sich dieser fritz wieder für einige zeit in schweigen hüllen. besser so, sagt ilse. und ilse hat immer recht. heute ist dieser fritz verkatert und keine gedanken ziehen durch seinen kopf, sondern ein mittlerer schmerz. o fritz, o. fritz, o fritz. ja es ist nicht immer leicht, ein fritz zu sein. und auch nicht immer leicht, sich einen fritz vom leib zu halten.
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heute fühlt sich mein fritzsein eher wie dussel duck an, nicht wie gestern, als es sich mehr nach klaas klever anfühlte.

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und nochmals voilà, jetzt kommt das versprochene foto von den beschwipsten dichtern pavlic andreas und widhalm fritz, geknipst von ilse kilic nach dem kurzen sommer der utopie.
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der philosoph heidegger schreibt in seinem buch "unterwegs zur sprache":
mit etwas, sei es ein ding, ein mensch, ein gott, eine erfahrung machen heißt, dass es uns widerfährt, dass es uns trifft, über uns kommt, uns umwirft und verwandelt.
nein, ich bin kein fan des philosophen heideggers, ich bin ein fan von david bowie. wenn ich mich nicht irre, hihi.
der philosoph heidegger sucht die dauer, das bewahren zu sehr im althergebrachten, im vermeintlich unverrückbaren, ich suche die dauer, das bewahren viel mehr in der stetigen veränderung, die mir widerfährt, die mich trifft, die über mich kommt, mich umwirft und verwandelt. ja, ich suche die dauer, das bewahren in der stetigen verwandlung, ohne die das lernen aus der geschichte nicht möglich wäre, da das unverrückbare, die ihm vermeintlich innewohnende wahrheit, keine geschichtsschreibung benötigt, ja, sich sogar vor geschichte hüten muss. die verwandlung passiert mir zwar, aber ich bin dann eben verwandelt, also stets passiver und aktiver fritz gleichermaßen. egal. der satz des philosophen heideggers gefällt mir, er sagt mir viel über meine begeisterung für popmusik, über meine erste begegnung mit ihr, blödsinn, über jede begegnung mit ihr, obwohl mich nicht jede begegnung mit ihr gleich umwirft oder verwandelt, aber doch immer wieder. ich bin begeistert und begeistere sie.
begeisterung erfährt geschichte.
begeisterung schreibt gedichte.
das ding dingt.
auch diesen satz schrieb der philosoph heidegger, ich verstehe ihn vielleicht nicht in seinem sinne, aber ich verstehe ihn. ich stehe auf diesen satz. ich stehe auf diesem satz. ich verwandelte mich durch ihn in den fritz, der fritzt.
damit bin ich nicht allein, nein, ich bin nicht allein, ich bin voller dinge, voller sätze, die mir bedeuten, die ich bedeute. voller menschen bin ich irgendwie auch. voller gott bin ich nicht, denn gott ist nicht verwandelbar, wenn ich mich nicht irre, hihi.
ich versuche, nie ich zu sein.
warum auch.
ich bin ein ding, ein mensch, kein gott. obwohl ich sicherlich ein ganz ein netter gott wäre. eine ganze schar netter gött*innen. aber lassen wir das, lassen wir das, sagt der idiot widhalm fritz.
er dauert an.
noch.
es dauert an.
noch.
der männliche artikel vor meinem namen macht mich oft unrund, aber ich will mich auch nicht einfach so davonstehlen. ja, das leben gibt mir zu denken die aufgabe auf, ich schreibe gedichte darüber, um es besser zu verstehen lernen.
vielleicht verwandle ich mich irgendwann wie gregor samsa in ein ungeziefer.

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heute, 08.08.2022, stehe ich außerhalb von mir.
hmm, im grunde tue ich das wohl immer.
ich mag es sogar, außer mir zu leben.
blah blah blah.
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fritz diskutiert mit einer bierflasche über die bedeutung des unbewussten für die kunst.
die bierflasche ist leer. das bier ist in fritz.
die bierflasche ist sozusagen nüchtern.

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heute, 10.08.2022, steht wieder mal sternschnuppenschauen auf unserem programm. die perseiden haben diese woche ihren höhepunkt. ilse liebt sternschnuppen, mir sind sie eher wurscht. macht nix, ich schaue ilse zu, wie sie sich an jeder gesehenen sternschnuppe erfreut und sich still mit entzückendem gesichtsausdruck etwas wünscht. ja, während ilse nach sternschnuppen ausschau hält, schaue ich ilse zu. ausschau halten brauche ich nach ihr nicht, sie sitzt beim schauen nämlich immer neben mir. heute werden wir zu diesem zwecke auf einer bank auf den steinhofgründen sitzen. ich werde jetzt bier einkaufen gehen, damit wir beim schauen nicht auf dem trockenen sitzen. die perseiden sind ein jährlich in der ersten augusthälfte wiederkehrender meteorstrom. auf in den supermarkt. ffp2-maske nicht vergessen. ja, ich trage sie noch immer, obwohl ich oft der einzige kunde, die einzige kundin mit maske bin. heute nehme ich eine schwarze maske. eigentlich mag ich die weißen lieber, aber die weißen in unserem maskenlager haben alle einen verdammt kurzen und unangenehmen gummi, er schneidet hinter meinen großen ohren ein. ich hatte schon immer große ohren, obwohl ich das gefühl habe, dass sie mit zunehmendem alter noch größer geworden sind. besser hören tue ich deswegen aber nicht. okay, genug geschwafelt, auf in den supermarkt.
wow. es waren außer mir noch zwei andere menschen mit maske im supermarkt. eine frau in meinem alter, also eine ältere dame, und ein junger mann. na ja, vielleicht hatten die beiden gerade corona.
menschen, die mit dem smartphone am ohr an der kassa stehen und der kassiererin, dem kassierer keine aufmerksamkeit schenken, verabscheue ich.
ja, ich würde sie allzugerne in ihren wichtigtuerischen arsch treten.
ich habe es auch dieses mal nicht getan und mich dafür mit einen schokomarzipanriegel belohnt. braver fritz.

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ich zeichne und montiere gerade an meinem neuen film "selbst(be)schreibungen, ein gedicht". das gedicht hat 25 strofen, 14 davon habe ich bereits bebildert.
hier nun ein standbild aus diesem film:
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dr. hook & the medicine show war eine us-amerikanische popgruppe, die von 1968 bis 1985 in der popwelt unterwegs war und anfang der 70er jahre mit den songs "sylvia's mother" und "the cover of rolling stone" hits hatte. beide songs wurden von shel silverstein geschrieben, der bei uns eher durch das kinderbuch "lafcadio - ein löwe schießt zurück" bekanntheit erlangte. auch der johnny-cash-hit "a boy named sue" wurde von shel silverstein geschrieben. shel silverstein gehörte aber nicht zur band dr. hook & the medicine show, die bestand 1972 aus den sängern ray sawyer und dennis locorriere, der auch lead gitarre spielte, rik elswit an der rhythm gitarre, george cummings an der pedal steel gitarre, billy francis an den keyboards, jance garfat am bass und drummer jay david. am 02.04.1974 spielten dr. hook & the medicine show im großen saal des konzerthauses in wien. ich war im publikum und hörte ray sawyer beim jodeln zu, "the yodel song (i need a little this, a little that)". an den drums, oder besser gesagt, dahinter, saß da aber nicht mehr jay david, sondern bereits john walters. das konzert war great. ja, es waren dr. hook & the medicine show, die mein interesse an country pop weckten, nicht die byrds mit ihrem album "sweetheart of the rodeo", nicht die nitty gritty dirt band mit "will the circle be unbroken", nicht bob dylan mit "nashville skyline" und auch nicht johnny cash. die musiker waren betrunken. ich war betrunken. die musiker verpassten keinen einsatz trotz trunkenheit. ich verpasste den zug wegen trunkenheit. ich wohnte damals noch nicht in wien, sondern in st. pölten.
great, great, great.
dead, dead, dead.
shel silverstein starb 1999 im alter von 68 jahren.
ray sawyer starb 2018 im alter von 81 jahren.
billy francis starb 2010 im alter von 68 jahren.
jance garfat starb 2006 im alter von 62 jahren.
john wolters starb 1997 im alter von 52 jahren.
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ich habe die nacht mit einem anderen betrunkenen konzertbesucher auf einer wiener baustelle verbracht. unbewacht. wir hatten spaß. wir hatten sex. wir haben im duett den song "life ain't easy" von dr. hook & the medicine show geträllert. wir haben weiter getrunken. bier. geschlafen haben wir nicht. am nächsten morgen bin ich zurück nach st. pölten gefahren und der andere konzertbesucher zurück nach linz, wo er wohnte. ja, das konzert war great, und die nacht war irgendwie durchaus vergnüglich.
ich habe mir später ein livealbum von dr. hook & and the medicine show gekauft, mit einer über 8-minütigen version des songs "carry me, carrie", die ist ebenfalls great. na ja, eigentlich ist die version nur zirka 7 minuten lang, der rest ist applaus und zugabe-zugabe-rufe. die zugabe folgt, yeah, "the cover of rolling stone" und "sylvia's mother". ich höre dr. hook & the medicine show auch mit 66 jahren noch immer sehr gerne, klar, manche songs wie "i call that true love" oder "looking for pussy" strotzen vor dummdreister männlichkeit, aber sie wurden so dargeboten, dass die dummheit jedermann sauer aufstieß.
heute, 13.08.2022, ist ein migränetag.
meine migräne ist eine sogenannte retinale migräne.
charakteristisch für eine retinale migräne sind obligatorisch einseitige auraähnliche visuelle phänomene wie skotome, flimmern oder blindheit, die sich auf die zeit der migräneattacke beschränken. während dieser sehstörungen oder bis zu 60 minuten danach setzt die migränekopfschmerzphase ein.
plötzlich beim frühstück war es soweit, ich sah nur mehr die halbe welt. das ist unangenehm. ich versuche gelassen zu bleiben und hoffe, dass es nicht allzulange anhält. na ja, es ging so. den kopfschmerz hab ich mit mexalen so halbwegs in den griff gekriegt.
jetzt ist es 21 uhr 23 und ich bin so weit, ich habe lust auf ein kaltes bier.
meinen neuen film "selbst(be)schreibungen - ein gedicht" habe ich trotz kopfschmerzen unterschiedlicher qualität fertig geschnitten. ich halte das liegen während der migräneattacken schlecht aus. an und für sich liege ich gerne im bett, auch tagsüber, nur nicht mit migräne, das macht mich fuchtig, ganzkörperlich fuchtig.
oder sagt man da eher ganzheitlich fuchtig?
okay, ich mach mich jetzt auf den weg, um einem bier zu begegnen.

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widhalm fritz ist in dichterlaune, 14.08.2022, obwohl die migräne noch nicht von seiner seite weichen will. na ja, alles und jedes liebt eben den dichter widhalm fritz. was solls.

closeach, wie liebe ich
closedas leuchten des mondes
closebeladen mit kindlichen phantasien
closeelektrizitätswerken
closeoder besser noch
closealtmodischen damenfrisuren
closeah, manchmal säuft
closemeine nacht
closenote um note
closewill fallen, fallen
closelos denn!
closewoge, du welle des windes
closesinnlos im kreis, kreis
closemit meiner kappe
closesinge ich, ja, nun singe ich
closestimmen bellen
closeaus tausend fenstern: ruhe!
closeja, das war ich, und mit wagalaweia
closewalle ich wogend ins weltall hinein

huch, meine gedichte werden immer romantischer.

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gestern, 15.08.2022, hatte ilse einen schwindelanfall. ich wollte die rettung rufen, aber ilse wollte keine rettung. nach zirka 15 minuten war der spuk wieder vorbei.
ilse meint, dass der schwindel durch ihre nervosität kam. es sind die gedärme die ilse nervös machen. die gedärme, sagt ilse. divertikulitis, sagt ilse.
ja, seit ihrer zweiten krebserkrankung und der damit einhergehenden chemotherapie leidet ilse an divertikulose. seit der letzten entzündung hat ilse das gefühl, dass ihr stuhlgang nicht mehr normal ist. die wurst zu dünn ist. ein sogenannter bleistiftstuhl. was auf eine verengung im darm hinweisen könnte. ich sehe mir seither immer ilses würste an. na ja, gegen meine würste sind sie eher dünn, aber auch nicht gerade so dünn wie ein bleistift. aber ich bin kein wurstfachmann. um eine verengte stelle im dickdarm auszuschließen, müßte man eine koloskopie machen. arme ilse.
wir werden die dicke ihrer würste weiterhin beobachten.
heute ist ihre farbe mehr grün als braun, da ilse gestern spinat gegessen hat. ilse isst gerne spinat. ich nicht so sehr. aber wenn ilse spinat kocht, esse ich immer ganz brav auf. warum auch nicht, spinat ist ja nicht giftig.

(…)
wenn ich mein alterswerk schreibe, schreibe ich mir, schreibe ich mich. doch ich schreibe mir nicht alles, ich schreibe mich nicht ganz.
diese 2 sätze habe ich mir von paul valéry geborgt.
nein, er hat sie nicht über mein alterswerk geschrieben. als ich mein alterswerk 2019 begonnen habe, war paul valéry schon lange tot. er ist 1945 im alter von 73 jahren in paris gestorben. ich bin ein bewunderer seiner cahiers. 2011 erschien in der bibliophilen buchreihe die andere bibliothek beim eichborn verlag das buch "ich grase meine gehirnwiese ab. paul valéry und seine verborgenen cahiers". unbedingt lesen, sagt der dichter widhalm fritz.
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schnurbart werde ich mir deshalb keinen wachsen lassen. schnurbart gefällt mir nicht. obwohl, einmal hab ich mir sogar einen schnurbart stehen lassen.
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na ja, so buschig wie der von paul valéry war mein schnurbart nicht, gefallen hat er mir trotzdem nicht.
eine laune ist eine laune ist eine laune.
und manchmal sogar eine wonne.

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heute, 18.08.2022, ist ein heißer tag. ja, die welt wird immer heißer, die flüße trocknen aus, die wälder brennen ab, und wir sind schuld daran.
viele leute fahren mit ihren autos ins gänsehäufel baden, ja, sie sind so frei, sie habens gestern getan, also tun sie es auch heute.
ich habe nicht das gefühl, dass der mensch das intelligenteste lebewesen der welt ist.

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