Kapitel 12: Oh lasst nicht alle Hoffnung fahren!


Roque Dalton

ÜBER KOPFSCHMERZEN

Es ist schön Kommunist zu sein,
obwohl es viel Kopfschmerzen verursacht.
Und es ist so: das Kopfweh der Kommunisten
versteht sich historisch, das heißt
es geht nicht mit Schmerztabletten weg
sondern allein mit der Verwirklichung des Paradieses auf Erden.
So ist das.
Unter dem Kapitalismus tut uns der Kopf weh
und sie reißen uns den Kopf ab.
Im Kampf für die Revolution ist der Kopf
eine Bombe mit Zeitzünder.
Beim Aufbau des Sozialismus
planen wir das Kopfweh mit ein
und es wird nicht knapp bemessen, ganz im Gegenteil.
Der Kommunismus wird sein (unter anderem)
ein Aspirin von der Größe der Sonne.

Das Gedicht von Roque Dalton (1935-1975, El Salvador) entnahm ich dem Band "TERZ. 30 Jahre Stroemfeld Roter Stern (1970-2000)". Tina Leisch hat über Roque Dalton und sein bewegtes Leben den sehenswerten Dokumentarfilm "Erschießen wir die Nacht" gedreht.

Das Gedicht bringt mich zum Lächeln und macht mich traurig. Es ist ein Zeitdokument und zugleich mehr, viel mehr als das. Ja, auch ein Dokument der Hoffnung.
Ja man konnte hoffen und man hoffte. Auch Roque Dalton hoffte und gab dieser Hoffnung Ausdruck.

Aber was geschieht mit der Hoffnung? Wohin wendet sie sich? Was meinen wir, wenn wir vom Kommunismus oder vom Sozialismus sprechen? Es gibt vieles, das gemeint ist, gemeint sein kann, gemeint sein muss. Hm. Naja.
Andererseits ist es schwer, einander "Aspirin" zu sein. Aspirin, eigentlich ein Markenname, eigentlich: Acetylsalicylsäure, wird als Schmerzmittel eingesetzt. Zusätzlich wirkt es ab einer gewissen Dosis fiebersenkend und hat bereits in sehr kleinen Mengen Auswirkungen auf die Blutgerinnung, indem es die Klebrigkeit der Blutplättchen verringert. Gut gut. Bei der Formulierung "Aspirin von der Größe der Sonne" hat Roque Dalton ziemlich sicher an die schmerzstillende Wirkung gedacht und beim Kopfweh, das den Aufbau des Sozialismus begleitet, dachte er wohl an die Schwierigkeit, den verschiedenen Vorstellungen, Ideen, Fähigkeiten und Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Ja, es ist alles sehr sehr kompliziert, könnte man an dieser Stelle ausrufen und: Oh lasst nicht alle Hoffnung fahren!

Ich glaube, an den Schluss dieses Kapitel setze ich ein Zitat von Alexander Herzen (1812-1870).
Ich habe das Zitat dem Buch von Adriano Sofri mit dem Titel "Der Knoten und der Nagel.", Frankfurt 1998, entnommen. Am Volksstimmefest stieß ich heuer auf ein Buch mit dem Titel "Romantiker der Revolution", geschrieben von E.H. Carr, worin einiges über Alexander Herzen und seine Schriften sowie über sein Leben zu finden ist.
Das Zitat lautet folgendermaßen:

"Stolz müssen wir darauf sein, dass wir nicht Nadel und Faden sind in den Händen des Fatums, das am bunten Teppich der Geschichte näht ... "

Oh lasst nicht alle Hoffnung fahren!