Kapitel 15: das bin ich nicht


das bin ich nicht
das bin nicht ich

die sonne, das licht
der frühling kommt
die winzigen knospen
das bin das bin ich nicht
das bin das bin nicht ich
ich möchte gern ein eichhörnchen sein
oder zwei ratten mitten im zimmer
tausend köpfe fallen
in ohnmacht

die sonne, das licht
ich habe geträumt
die sonne, das licht
habe ich geträumt

das bin o tanz mit mir
das bin o spring mit mir
das bin ich bin zweiundfünfzig
das bin ich brauche keine behandlung

Dieses Gedicht stammt von Fritz Widhalm. Einmal, bei einer Lesung im Literaturhaus, hat der Schriftstellerkollege Nikolaus Scheibner darauf geantwortet. Literarisch geantwortet, versteht sich. Leider habe ich das Gedicht nicht im Gedächtnis behalten. Ich erinnere mich nur an die letzten beiden Zeilen, die da lauteten:

das bin ich bin zweiunddreißig
das bin ich wurde gerade behandelt

Jetzt, wo ich dieses Gedicht abgeschrieben habe und mich an die Stimmen der beiden Lesenden, die beide an diesem Abend ihre Gedichte vortrugen, erinnere, überfällt mich wieder dieses Gefühl von Traurigkeit, das die Gedichte auslösten, beide Gedichte. Warum wohl? Ich verstehe es nicht wirklich. Aber es ist möglich, Dinge unwirklich zu verstehen, in dem man sie ein paarmal wiederholt. Die Erinnerung kann man nicht wiederholen, aber es ist durchaus möglich, den einen oder anderen Gedanken zweimal zu denken.
Es ist sowieso nicht immer hilfreich, alles "wirklich" zu verstehen. Wobei sich die Frage stellt, was verstehen eigentlich bedeutet. Bedeutet es, dass man dasselbe mit anderen Worten sagen kann? Ist es grundsätzlich möglich, dasselbe mit anderen Worten zu sagen. Wahrscheinlich nicht. Und das Gleiche? Wahrscheinlich auch nicht.

Ich kann natürlich mit anderen Worten diesen Gedichten entgegenkommen, ich kann sogar mit eigenen Worten widersprechen, mich schütteln wie ein nasser Pudel, um das Gehörte abzuschütteln, was mir vielleicht große Freude macht.

Behandelt werden ist etwas, was dem Menschen widerfährt. Selbst wer keiner Behandlung bedarf, kennt die Möglichkeit. Und die Behandlung ist immer von einem ganzen Bedeutungsschwarm umgeben, eine Wolke aus Bedeutungen gewissermaßen, die mehrheitlich Unbehagen transportieren. Das ist das Eine. Nicht ungesagt soll an dieser Stelle auch ein Satz von John Cage sein, der sich dem Verstehen aus einer anderen Perspektive nähert:

Was ich Poesie nenne wird oft Inhalt genannt.
Ich selbst habe es Form genannt.

Es stammt aus seinem Vortrag über nichts (1959).
Es könnte durchaus ein eigenes Gedicht sein.