Kapitel 2: Jeder Tag hat sein eigenes Lieblingsgedicht


Unsinn. Jeder Tag kann gar nicht sein eigenen Lieblingsgedicht haben, da im Laufe eines Tages so viel vor sich geht, dass für ein eigenes Lieblingsgedicht gar keine Zeit ist. Andere Tage wiederum sind voll von Ausschnitten von Gedichten, die sich nicht zu einem Ganzen fügen wollen. An manchen Tagen bedarf ich dringend eines Gedichtes, an anderen Tagen drängen sich Gedichte auf und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie just in jenem Moment unbedingt in meinem Tag haben will.

In meinem "BUCH ÜBER VIEL" habe ich ein Gedicht der Dichterin Ricarda Huch zitiert.

Nicht alle Schmerzen

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.

Ich habe damals die folgende Anmerkung zum UrheberInnenschutz gemacht: Ich
zitiere das nebenstehende Gedicht zur Verdeutlichung meiner Gedankengänge im Rahmen eines eigenständigen Sprachwerks. Der geistige Austausch, der auf diesem Wege zwischen Ricarda Huch, Ilse Kilic (das bin ich) sowie den Leserinnen und Lesern dieses Buches stattfindet, dient der Förderung des kulturellen Lebens. Aufgrund dieser Umstände ist es hoffentlich gestattet, zu zitieren. Dies - davon gehe ich aus, gilt auch für dieses, hier als work in Progress entstehende Textwerk.

Nun habe ich die erste Gedichtzeile von Ricarda Huch ins Internet eingegeben und bin auf die Seite http://anthologie.de/lg-015.htm gekommen. Hier können Menschen ihre Lieblingsgedichte einstellen und kommentieren. Es gefällt mir, was eine Leserin namens Heidi über das Gedicht schreibt. Ja, und es zeigt, dass Gedichte Lieblingsgedichte sein können, für Heidi, für mich, für einen Tag, für einen Monat, für ein ganzes Jahr und noch länger. Einen Ricarda-Huch-Weg habe ich in Wien schon lange entdeckt, mittlerweile weiß ich, dass es auch in anderen Städten, zum Beispiel in Jena oder Erfurt einen solchen gibt. In Erfurt liegt der Ricarda-Huch-Weg gleich ums Eck vom Eugenie-Marlitt-Weg. Unklar bleibt, wieso manche Dichter und Dichterinnen einen Platz, einen Straße, eine Gasse oder einen Weg bekommen. An dieser Stelle drücke ich mein Bedauern darüber aus, dass die Wiener Herbststraße nicht nach dem Dichter Werner Herbst benannt ist. Infos zu Werner Herbst zum Beispiel unter
http://www.gav.at/pages/in-memoriam.php?ID=699

Nachtrag:
Ricarda Huch (1864 bis 1947), Eugenie Marlitt (1825 bis 1887)