Eigentlich wollte ich an den Anfang
des Kapitels ein Gedicht von Martin Kubaczek stellen. Martin Kubaczek
erzählt "in einer spannungsreichen Abfolge von beobachtenden
und szenischen Gedichten von den Höhen und Tiefen während
seiner Krebserkrankung" (Klappentext).
Jetzt aber denke ich, ich schreibe vielleicht zuvor etwas über
das Buch und dass es mich beeindruckt und berührt hat. Also ja,
das Buch heißt "Nebeneffekte" und ist in der Edition
Korrespondenzen erschienen.
Es ist ja so, dass fast jeder Mensch im Laufe des Lebens mit der Krankheit
Krebs konfrontiert wird. Durchschnittlich jeder Dritte erkrankt selbst,
und jeder und jede dieser Erkrankten hat Freunde, Freundinnen, Angehörige,
die, ebenso wie der/die Erkrankte selbst, einen Weg finden müssen,
mit der Erkrankung zurechtzukommen. Da ist zum Beispiel wenig hilfreich,
dass Krebs noch immer ein großes Tabu ist, das ein betretenes
Schweigen hervorruft oder gutgemeinte Ratschläge. Ich habe, schon
bevor ich selbst an Krebs erkrankt war, an mir beobachten können,
wie groß die Verunsicherung ist. Was darf man fragen? Was soll
man fragen? Wie findet man einen Weg aus der Befangenheit? Wie geht
man mit den eigenen, durch die Erkrankung der anderen ausgelösten,
Ängsten vor der Krankheit um? Nun ja. Als ich dann selbst an Krebs
erkrankte, wurde die große Verunsicherung anderer Menschen sichtbar,
diesmal mit mir auf der anderen Seite.
Jetzt ist es natürlich eine Sache, ein Problem
zu erkennen, eine ganz andere Sache ist es, künstlerisch darauf
zu reagieren. Aber die Kunst steht zur Verfügung, sei es, indem
man selbst künstlerisch arbeitet, aber auch, indem man sie wahrnimmt,
sie bietet sich an, Probleme aller Art darstellend zu strukturieren
und/oder aus dieser Struktur etwas in Richtung Erkenntnis zu gewinnen,
ich scheue etwas zurück vor dem Wort Erkenntnis, es ist so groß,
ich meine eigentlich, man kann und will vielleicht ein bisschen klarsichtiger
werden.
Nun ein Gedicht aus dem Buch von Martin Kubaczek:
IM MUSEUM
Stellen sie sich vor, Sie
gehen
in eine Ausstellung, ein Museum
Sie betreten das Gebäude
Sie gehen durch die Räume
Sie kommen in eine Halle
und da sind viele Gegenstände
unter Tüchern, abgedeckt
Eines davon ist Ihre Krankheit
Gehen sie hin
ziehen sie das Tuch weg
schauen Sie, betrachten Sie Ihre Krankheit
sprechen Sie vielleicht zu ihr, mit ihr
Hören Sie, was sie sagt
Dann nehmen sie wieder das Tuch
und legen es darüber
Decken Sie ihre Krankheit wieder zu
verabschieden Sie sich
und gehen Sie leise wieder weg
hinaus aus der Halle.
Ja, viele Krebspatientinnen und -patienten kennen
diese Sätze (Ich auch). Und hier, in diesem Gedichtband, so schwarz
auf weiß, nehmen sie sich ganz anders aus als zB. im von mir erlebten
psychoonkologischen Alltag. Interessant, wie sich die Worte verändern,
indem sie sich zum Gedicht zusammenfinden. Nun ja. Die Realität
braucht Gedichte. Das ist klar.
Ich zitiere hier einen Auszug aus dem fünften
Band des Verwicklungsromans, den Ilse Kilic (=ich)
gemeinsam mit Fritz Widhalm schreibt und von dem nun bereits neun Bände
in der kleinen und feinen Edition ch erschienen sind. Der Verwicklungsroman
ist zwar selber kein Gedicht, sondern ein hyperbiografisches Schreibprojekt,
wie Kurt Neumann einmal sagte. Der Verwicklungsroman ist aber absonderlich
und süß, fast wie ein Gedicht! Und das Zitat passt vortrefflich
hierher, zumal es sich auf ein Gedicht von Hans Davidson =
(Jakob van Hoddis) bezieht, das im Anschluss ebenfalls wiedergegeben
wird:
Kapitel 306nachtrag:
wir haben alle angst vor dem weltende*, sagen die jana und ihre heimliche
zwillingsschwester ilse kilic, denen gerade ein plakat der umweltschutzgruppe
greenpeace einfällt, auf dem zu lesen ist: das wetter schlägt
zurück. aber nicht jedes weltende ist ein weltende, sagen die jana
und die ilse und stellen sich eine glückliche welt ohne ende vor,
in der es keinen brustkrebs gibt.
nicht nur keinen brustkrebs, sagen die jana und die ilse, es sollte
überhaupt keine krankheiten, keine ungerechtigkeiten natürlich
und so weiter, also, da sollte es einiges nicht geben. die jana und
die ilse zitieren an dieser stelle den schriftsteller stephan eibel
erzberg**: eine natur, die afterverschlüsse zulässt, eine
natur, die große fische entstehen ließ, damit sie die kleineren
essen sollten, eine natur, die ihn nun an beiden händen schmerzen
haben ließ, die natürlich waren, wie der arzt sagte, diese
natur war ihm an diesem tag zuviel.
*Jakob van Hoddis:
Weltende
dem bürger fliegt vom
spitzen kopf der hut,
in allen lüften hallt es wie geschrei,
dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
und an den küsten - liest man - steigt die flut.
der sturm ist da, die wilden meere hupfen
an land um dicke dämme zu zerdrücken.
die meisten menschen haben einen schnupfen.
die eisenbahnen fallen von den brücken.
**Stephan Eibel: "In
Österreich Weltbekannt", Edition Freibord, Wien 1992.