Kapitel 28: Die Wirklichkeit macht weiter


Man kann über sie sagen was man will, aber sie ist beängstigend. In fast jeder Hinsicht. Das spricht natürlich nicht gegen Gedichte. Allerdings kann es vorkommen, dass Worte im Mund steckenbleiben, nein, sie stecken im Hals und wollen sich Luft verschaffen.
Ich erinnere mich an eine Lesung, es ist viele viele Jahre her, ich glaube, es war ein AutorInnenprojekt der Alten Schmiede, organisiert von Rolf Schwendter, also ich glaube mich in diesem Zusammenhang an eine Lesung des Schriftstellers Hadayatullah Hübsch zu erinnern. Genauer gesagt, ich erinnere mich an den Beginn seiner Lesung, er stand da und intonierte in den verschiedensten Tonlagen den einen Satz:

Was sollen wir mit diesem Land machen.
Was sollen wir mit diesem Land machen
Was sollen wir mit diesem Land machen
Was sollen wir mit diesem Land machen
Was sollen wir mit diesem Land machen
(da capo al fine)

Ja, dieser eine Satz in den verschiedenen Tonlagen gesprochen, gesungen, geschrien ergab das Gedicht. Es war ein politisches Gedicht, das mir zu Herzen ging. Man könnte es vermutlich in jedem Land der Welt sprechen, singen und schreien. In manchen Ländern aber besonders.

Was ist ein politisches Gedicht? Ich würde eigentlich sagen, dass jedes Gedicht ein politisches Gedicht ist. Manche sind es aber besonders. Politik ist ja das ganze Leben, wobei das ganze Leben mehr umfasst als Politik, Politik aber sollte nicht weniger sein als das ganze Leben.

Als Kind verstand ich nicht ganz, warum meine Eltern am Mittagstisch heftig über Politik stritten. Nein, es war so: Die Auswirkungen der Politik auf das alltägliche Leben verstand ich nicht ganz. Würde es nicht "immer" einen Kinderspielplatz geben für mich, eine Schule und ein Jausenbrot? Meine Mutter sagte, nein, nichts sei selbstverständlich. Mein Vater sagte, dass er mir wünscht, dass es das immer für mich geben wird. Nunja. Möge es doch alles für alle geben!

Und das politische Gedicht,
es tritt und immer noch einmal
und immer noch einmal
als Wunschmaschine auf:

Was sind eigentlich Wunschmaschinen?
Deleuze und Guattari entwarfen das Konzept der Wunschmaschine, eines Unbewussten, dem ein subversives Potential eingeschrieben ist. Hm. Ich glaube nicht, dass ein Gedicht genau genommen eine Wunschmaschine sein kann oder will. Andererseits kann alles und - wir alle - Teil der Wunschmaschine sein, ob wir wollen oder nicht.

Gibt es wirklich Wunschmaschinen und muss man sich vor den Wunschmaschinen fürchten?
Man weiß nur, dass es sie gibt, wenn man an sie glaubt. Furcht ist vielleicht nicht das richtige Wort. Umsicht und Vorsicht ist allerdings nicht verkehrt, wie immer, wenn es darum geht, sein Herz an etwas zu hängen.

Gibt es eine Maschine zur Verbesserung der Welt?
Ich habe vor vielen Jahren einen Entwurf anlässlich einer Ausstellung in Zürich gesehen. Er war Teil einer Ausstellung von Ramon Haze. 2013 war im Museum "Hamburger Bahnhof" in Berlin ein zehn Meter hohes, pyramidenförmiges Modell einer Weltverbesserungsmaschine zu sehen. Nunja: Die Weltverbesserungsmaschine wurde niemals realisiert. In meinem Buch "Vom Umgang mit den Personen", das sich dem Chagrinismus und der Präsenz einfacher Maschinen wie der schiefen Ebene widmet, beeinflusst ihre Möglichkeit die Gedanken der Hauptperson zur Kummerforschung. Ja, auch Erfindungen, die es in der real existierenden Wirklichkeit nicht weit gebracht haben, können in dieser Wirklichkeit wirksam werden.