Vorige Woche habe ich ein Interview
mit Susan Sontag gelesen. Ein Interview ist kein Gedicht. Man könnte
aber auch sagen, dass dieses Interview ein Gedicht ist. Man kann ja
sogar sagen: "Die Mehlspeisen von der Fanny-Tante sind ein Gedicht."
Damit ist gemeint, dass die Mehlspeisen von der Fanny-Tante ganz besonders
gut schmecken. Kann man auch sagen, dass die Mehlspeisen von Karli-Onkel
ein Gedicht sind? Ja, das kann man ebenfalls sagen, wenn die Mehlspeisen
des Karli-Onkels besonders gut schmecken.
Eigentlich heißt diese, nicht mehr sehr gebräuchliche Redewendung,
dass ein Gedicht etwas besonders Wohlschmeckendes, etwas besonders gut
Gelungenes ist. Ja, das Interview mit Susan Sontag war durchaus ein
Gedicht. (Das Buch heißt: The Doors und Dostojewski und es besteht
aus diesem sehr langen Interview, das Jonathan Cott mit Susan Sontag
geführt hat). Das Buch "Krankheit als Metapher", das
im Zusammenhang mit Susan Sontags Brustkrebserkrankung geschrieben wurde,
fiel mir ein, als Susan Sontag im Interview erklärte, wie sie begonnen
hat, es zu schreiben: "Du liegst im Krankenbett, und Ärzte
kommen zu dir und sie haben diese besondere Art zu reden … und
du hörst ihnen zu und fängst an darüber nachzudenken,
was sie dir sagen (…) Aber dann denkst du auch: Wie merkwürdig,
dass Leute so reden und dir wird bewusst, dass es an all den festen
Vorstellungen liegt, die die Welt der Kranken ausmachen".
Ja.
Gedichte sind absonderlich und süß, und was genau ist ein
Gedicht? Das werde ich mich vielleicht noch des öfteren fragen.
Ich klammere jetzt mal die Vorstellung, dass auch Tante Fannys und Onkel
Karls Mehlspeisen eines sind, aus, genauso wie ich das Interview mit
Susan Sontag ausklammere, weswegen es hier eigentlich gar keinen Platz
finden dürfte.
Und dann sage ich ganz salopp: Ein Gedicht kann man zum Beispiel des
öfteren daran erkennen, dass auf der Seite genügend weißer
Raum bleibt, auf dem die Augen sich frei bewegen können. Natürlich
können sich die Augen auch frei bewegen, wenn die Seite über
und über voller Buchstaben ist, genau genommen bewegen sich die
Augen sowieso mehr oder weniger frei und lieben das Hüpfen (manchmal).
Aber der weiße Raum, der ein Gedicht (manchmal) umgibt, ist schon
etwas Besonderes. Er weist unter anderem darauf hin, dass es (meistens)
keinen Sinn macht, wie ein Scanner zu lesen und sich den Inhalt in möglichst
kurzer Zeit einzuverleiben.
Und das Gedicht dieses Kapitels?
Ich werde zwei Zeilen zitieren und rundherum ein bisschen WEISS lassen.
Ah, damn, goddamn, goddamn, goddamn.
Here I am.
Diese Zeilen stammen von Patti Smith (Privilege - Set Me Free). Ja,
Songtexte sind Gedichte. Die Botschaft geht allerdings über das
Wort hinaus. Das tut sie eigentlich sowieso immer. Oder auch nicht.
Naja, es kann keinesfalls schaden, sich den Song von Patti Smith anzuhören.