Kapitel 44: Es ist Oktober, wie jedes Jahr, wenn Oktober ist


Jetzt ist die Zeit, in der die Tage eindeutig kürzer werden. Falsch: Es sind nicht die Tage, die kürzer werden, die Sonnenstunden werden weniger, es verkürzt sich der helle Anteil des Tages.
Ich zitiere ein Gedicht aus dem Gedichtband von Petra Ganglbauer. Er heißt "Wasser im Gespräch" (Edition Keiper, 2016) und enthält verschiedene Gedichtzyklen, darunter Mondgedichte und Pflanzengedichte. Das Gedicht hat nichts mit dem Oktober zu tun. Aber es hat etwas mit Dunkelheit zu tun, mit dem "Schwachen Herbstmond", wie Petra Ganglbauer diesen Gedichtzyklus nennt.

Zeigt die Zusammenhänge:
Jedes wahrnehmbar Gegebene
Verläutet gründlich die Tage,
verdenkt und verdankt.

Hm.
Hat der Oktober immer einen "Schwachen Herbstmond"? Bin nicht sicher. Als Ausblickin die Winterzukunft lese ich noch im Gedichtzyklus "Verdorrender Wintermond".

Schaustein oder aber einziges Auge.
Ovale Denkrundung im Vierteljahr.
Steinfeld (Exkurs) gerollte
Andacht:
Im Hiersein.

Ja, die Jahreszeiten sind mehr als Jahreszeiten, der Mond ist mehr als der Mond. Es geht um Befindlichkeiten, um unsere Wahrnehmung, um die Bitterkeit, die "die tage verläutet" (oder eben nicht), aber auch um das einfache Hiersein, in der Winterstimmung, Hiersein, ohne zu verdorren.
Und zwischendurch bellt ein Hündchen den Mond an.

Sollen wir denn wirklich davon ausgehen, dass das schwindende Licht, die kühlere Luft, die kahlwerdenden Bäume etwas bewirken, unser Befinden usw. verändern? Als ich jünger war, sträubte ich mich. Wir bleiben doch wir selbst, immer, innen, ganz innen und das Wetter, die Jahreszeiten sind so weit außen, zugleich so unabänderlich. Sollen wir ihren Einfluss nicht einfach leugnen? Ist es nicht wichtiger, die gesellschaftliche Kälte zu erkennen, die uns in die Knochen kriecht? Nun ja, es schließt sich nicht aus, das eine, das andere, wir bleiben wir, wenn es möglich ist, bleiben wir noch ein bisschen wir.

In das Oktoberkapitel, das schon in den November hineinreicht, passt ein Oktobergedicht von Bess Dreyer. Es ist bisher unveröffentlicht.

oktober
 
das sind die letzten, sagt
die marktfrau und überreicht
die schwere tüte, braunes
papier wie in der kindheit.
 
welch beruhigender gedanke:
es gibt eine zwetschkenpause,
aber danach kommen sie wieder.
 
anders weißt du es
von den letzten tagen,
die sich ankündigen.
 
abgelebt hängen sie bald
im baum, faulig, wespenbenagt.
nachts, wenn es still wird,
 
hörst du
das seufzen der stunden,
die schmerzen.

Übrigens: Zwetschken hingen im Garten meiner Großeltern wie blauer Zierrat am Baum. Dass man etwas so Blaues essen kann, konnte ich gar nicht glauben. Noch heute wird mir beim Wort Zwetschke warm ums Herz. Oh, lasst uns auf einen Zwetschkenherbst hoffen, der sich wiederholt.

Ich schließe mit einem kleinen Haiku von mir. Es ist enthalten im Buch "Eine andere Welt ist möglich", das Fritz Widhalm im Jahr 2016 zusammengestellt hat und das sich jetzt, Ende Oktober, auf dem Weg in die Druckerei befindet.

Eine andere Welt ist möglich
Eine andere Welt
Ein Haiku mit zu langem Titel von Ilse Kilic
Die Welt ist so groß.
Mein klopfendes Herz ist klein.
Ich bin nicht allein.