Kapitel 47: Soll man das Y verbrennen?


Das ist kein Gedicht. Das ist ein Gedicht! Ja irgendwie doch. Ein Prosagedicht eben.
Den Text, denn ich an dieser Stelle auszugsweise zitiere, habe ich für eine Lesung zum Internationalen Frauentag 2014 geschrieben. Der ganze Text ist veröffentlicht in "Wir sind Frauen. Wir sind viele..." (edition fabriktransit 2016).
Ich gebe zu: Streng genommen ist das kein Gedicht. Aber heute erlaube ich mir, über die Strenge, äh: Stränge zu schlagen und einfach einen eigenen Text zum Besten zu geben. Ich verwende für den Text die Farbe blau. Weil es eben doch ein Gedicht ist, so und so!

Soll man das Y verbrennen?Soll man das Y verbrennen?
Dieser Titel lehnt mit einem Zwinkern an einem Titel von Simone de Beauvoir. Bei ihr heißt es: "Soll man De Sade verbrennen?" Damit ist jetzt nicht die Person "De Sade" gemeint, sondern seine Texte und ja, der Essay ist lesenswert und gibt ein, zwei, viele Antworten.

Explizit und ausdrücklich wäre ich in guter Gesellschaft, würde ich die Abschaffung der Männer fordern. Helene von Druskowitz, ja, "der Mann als logische und sittliche Unmöglichkeit und Fluch der Welt". Sicher ist sicher. Und weiter - soweit und so weit. Valerie Solanas: "Society for cutting up men". Ja und "sie schoss Andy Warhol down", shot down und down. Und selber dann down.
CUT UP sagt mein Text, und man könnte, man müsste sie hassen, die Männer, mit Griff und mit Tritt. Ja ich kann, und man könnte und muss.
CUT UP - und dann muss ich mich fragen,
wie ist das, ich leb' ja mit einem zusammen und gern, ja sehr gern.
Und eine Freundin hat einen zur Welt gebracht.
Das könnte ich sagen, wenn ich glaubte man würde geboren als Mann oder Frau.
Aber als Baby wird man geboren und wird so oder so, oder anders?

"Ob ich Frau bin oder keine, entscheide ich alleine", für diesen Slogan auf der Frauendemo letzten März vielen Dank an die Frau mit dem Fahrrad!

Woran erkennt man den Mann? Am Klingeling zwischen den Beinen? Ach, das fällt gar nicht auf, der Alltag sieht uns bekleidet, zumeist, mit Gewand als schützende Wand zwischen einander. Ja das Gewand: die Wand zum Wickeln rundum. Erkennt man den Mann am Ypsilon? Ja, Ypsilon heißt das Chromosom, das den männlichen Phänotyp gründet. Allerdings ist Ypsilon dem freien Auge unsichtbar.
Erkennt man den Mann an der Länge des Stimmbands? Ach was: Ich wurde ja selbst schon verwechselt, Geschichte vom Leben, gegriffen von mir. Ich sag jetzt im Schwimmbad im Falle geschlechtergetrennter Umkleideräume mit hoher Stimme mein "Guten Tag!" und erhalte dann sicher den richtigen Schlüssel.
CUT UP. Woran erkennt man den Mann, ja: Zum Beispiel daran, dass er peinlich berührt ist, wenn jemand ihn nicht erkennt.
Und: CUT UP.
Es ginge nicht um einzelne Männer, wer sagt das, verflucht manchmal doch.
Es ginge aber um Frauen.
Es ginge gegen DEN MANN als Großbuchstaben-Symbol: „CUT UP “ in Stücke zerlegen, der MANN ist ein Fluch, aber möglich - ad absurdum die Welt! Und verflucht: Männer treten auf und darauf.

Soll man das Y verbrennen?i'm not tight
Soll man das Y verbrennen?but then i might have been a little tired
Soll man das Y verbrennen?i'm not hurrying
Soll man das Y verbrennen?but i could be worrying or i could be frightened
Soll man das Y verbrennen?i'm not dreaming
Soll man das Y verbrennen?but i could be screamingSoll man das Y verwhat a wonderful world

Was kann die Sprache? Spricht wie sie spricht. Der Aufschrei, der Schrei und das Wort. Und das Wort ist Schrei geworden und hat unter uns gewohnt.
CUT UP und verflucht und als ob.

Das weibliche Geschlecht ist die Mehrzahl, Unsinn, sagen wir so: In der Mehrzahl werden alle Worte weiblich, ja gemeinsam sind wir weiblich.

Was ist eine Feministin? Eines ist klar: Es ist einfacher, eine Feministin zu sein mit zwei X-Chromosomen, welche man allerdings nicht sieht. Ob es erstens) möglich ist, auch mit Y eine Feministin zu sein und zweitens) ob das Y-Chromosom eine für Welt und Mensch eher ungünstige Chromosomenvariante darstellt, sind Fragen, auf die es nicht eine Antwort gibt. Nicht eine. Eine nicht.
Eine Feministin zum Beispiel ist daran zu erkennen, dass sie feministische Texte schreibt. Da ich mich entschlossen habe, eine Frau zu sein, um zweifelsfrei Feministin sein zu können, darf ich von meinen Texten verlangen, dass sie feministische Texte sind.
Ich bin im Zweifel sicher.

Übrigens: Ich liebe den Popo. Er ist geschlechtsneutral und tritt bei Männern und Frauen auf, egal, ob sie sich dafür entschieden haben, Männer und Frauen zu sein.
Dem Popo widme ich dieses Gedicht:

Soll man das Y verbrennen?in den wintern
Soll man das Y verbrennen?sind die hintern
Soll man das Y verbrennen?rund und kalt
Soll man das Y verbrennen?wir werden alt