Kapitel 52: Endlich.


Endlich ist ein schillerndes Wort. Gerade weil es zwei Bedeutungen hat, die sich ansatzweise widersprechen. Man kann sagen: Endlich ist es soweit. Oder: Alles ist endlich. Ich auch.

Ich kenne übrigens noch ein anderes Wort, dessen Bedeutung mit zwei ganz kurzen Sätzen zum Schillern gebracht wird. Alles ist eitel. Ich auch.

Das Wort endlich drückt aus, dass es ein Ende gibt. Ein Ende des Wartens zum Beispiel. Aber auch generell: Ein Ende.
So wie das Wort herzlich ausdrückt, dass es ein Herz gibt. Zum Beispiel beim Grüßen. Und das Wort hoffentlich bedeutet, dass es das Hoffen gibt. Das Wort gemütlich erinnert an das Gemüt, das Wort wesentlich an das Wesen. Das Wort lächerlich verweist auf das Lächeln und das Wort fürchterlich auf das Fürchten. Und alle diese Worte enden mit dem Ich.

An "endlich" und die "Endlichkeit" denkend möchte ich ein Haiku von Traude Veran zitieren:

geht ihr nur shoppen
alles was ich besitze
hält länger als ich

(Das Haiku steht in ihrem Lyrikband "Primzahlverse", erschienen im Zwiebelzwerg Verlag 2012).

Ich dachte an dieses Haiku, als ich im Kasten meine Lederjacke hängen sah, die ich vor ca. 20 Jahren gekauft habe. Heute würde ich wahrscheinlich keine Lederjacke mehr kaufen. Mir gefiel damals, dass man einen Trolley als Geschenk dazu bekam, aber der ist schon zusammengebrochen, weil wir ja immer Bücher damit transportieren und so ein stabiler Trolley war es nicht. Und die Lederjacke? Ein Zippverschluss ist ausgerissen, aber so richtig abgetragen sieht sie nicht aus. Dass es meine Jacke länger geben wird als mich, halte ich für möglich. Und wahrscheinlich ist meine Lederjacke nicht allein.

Jetzt denke ich an einen Satz von Derek Jarman in seinem Buch "Blue" (Verlag Martin Schmitz, 1994): "Zeit ist, was das Licht daran hindert, uns zu erreichen".

Soll man sich diese Seite der Endlichkeit bewusst machen? Daran denken, auch wenn das Denken mit Angst, Traurigkeit und Trauer verbunden ist? Ja und nein, nein und ja. Manchmal ist es aber einfach auch tröstlich, wohltuend und erhellend, wenn es eine literarische Auseinandersetzung mit beängstigenden so genannten Wahrheiten gibt, und, ja, dieses Auseinandersetzen oder Zusammensetzen kann schön sein und kann einen Moment lang, einen kostbaren Moment das Erschrecken überwinden. Oder sagen wir so: Das Erschrecken erschrickt gemeinsam mit uns. Oder so: Wir setzen das Erschrecken neu zusammen, gewissermaßen in neuer Übersetzung? Eine Übersetzung, das ist auch eine Art der Kraftübertragung, unter anderem auch von einem kleinen Zahnrad auf ein größeres oder umgekehrt, worauf das Fahrrad den Berg erklimmt, Transformation also unter Erhaltung der Energie und mit einer gewissen Erleichterung. Das Gedicht von Christa Nebenführ, das sich der Endlichkeit widmet, sei an dieser Stelle zitiert.

Die Nacht klang mir vom Riesling in den Ohren,
da hab' ich meinen nahen Tod gerochen.
Er hat mir stückweis, seit er mich geboren,
die Hoffnung von der Seele abgebrochen.
Ich werde immer leichter mit den Jahren.
Die Zeit hat sich allmählich mir entzogen.
Die Erdenschwere ist mir ausgefahren
und jemand Unverletztem zugeflogen.
Ich spür' die lichte Angst schon Funken schlagen,
die in ein blendend heißes Feuer münden.
Das brennt zu hoch an den verblieb'nen Tagen!
Wie zärtlich tast' ich nach den Wassergründen.

Das Gedicht stammt aus Christa Nebenführs Gedichtband "Inzwischen der Zeit" (1997).

Es gibt, so schreibt Stephen Cave in seinem Buch mit dem Titel "Unsterblich" (erschienen 2012) vier "Ideen" zur Unsterblichkeit, die sich bei manchen Menschen einiger Beliebtheit erfreuen, obwohl ihre Umsetzbarkeit fraglich ist. Diese vier Ideen sind:
1. einfach weiterleben
2. Auferstehung
3. unsterbliche Seele
4. Vermächtnis

Alles nicht so einfach.
Gar nicht einfach alles.

Der Tod ist ein Skandal". Das sang die tödliche Doris im Jahr 1982. Zuhören, sich trösten. Endlich.