Kapitel 6: Absonderlich?


Absonderlich, adj. et adv. was abgesondert werden kann, von andern abgesondert zu werden verdienet, und wirklich abgesondert ist, so wohl 1) in der eigentlichen Bedeutung, als auch 2) in der uneigentlichen, besonders in Rücksicht auf die verschiedenen Ursachen der Absonderung.
(a) Für eigen, besonder. Dieses erfordert ein absonderliches Buch. Ein absonderliches Zimmer.
(b) Für allein, einsam. Absonderlich wohnen, schlafen, essen. Mit einem absonderlich, (allein) reden. Welche Nothwendigkeit leget dir auf, die Zeit dermaßen absonderlich zu verschleißen, und in solcher Einsamkeit herum zu wandern? (Opitz)
(c) Für einzeln. Jemanden über einen absonderlichen Umstand befragen. Die absonderlichen Umstände erzählen. Insgemein und absonderlich.
(d) Für vor andern, insonderheit. Dieß ist überall üblich, absonderlich aber in Franken. Alles wird jetzt theurer, absonderlich das Getreide.
(e) Vorzüglich. Eine absonderliche Klugheit, Schönheit, Gnade. Ich bin ihnen absonderlich Dank schuldig. Es ist nichts absonderliches daran.
(f) Seltsam, sonderbar. Ein absonderlicher Mensch.
Anm.: In allen obigen Bedeutungen ist dieses Wort nur noch in einigen Kanzelleyen und den Oberdeutschen Mundarten üblich. In der anständigern Schreib- und Sprechart bedienet man sich dafür der Wörter besonder und besonders.
(Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart; Johann Christoph Adelung
Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand Leipzig 1793-1801)

Was mir in dieser Aufzählung fehlt, ist die Idee der Sonde. Nun hat sie "in der so genannten real existierenden Wirklichkeit" nichts mit dem Wort absonderlich zu tun. Dementsprechend gibt es im oben genannte Wörterbuch auch keine Sonde (man beachte das Erscheinungsdatum und die real existierende Wirklichkeit). Die Idee des Sondierens ist eine recht neue Idee. Sie beschreibt die Tatsache, dass wir mittels Sonden in die Wirklichkeit eindringen, ihr teilweise sogar Proben entnehmen, mittels derer Erkenntnisse gewonnen werden sollen. Diese Wirklichkeit kann Teil des eigenen Körpers sein, sie kann aber auch weit außerhalb unserer alltäglichen Erfahrung liegen, etwa im Weltraum.

Wie aber und welches Gedicht passt zur Idee der Sonde? Genau genommen jedes. Genau genommen keines. Mir fällt jetzt ein, dass ich gelesen habe, dass es zur Aufgabe so genannter "avancierter Kunst und Literatur" gehören könnte, "der Wirklichkeit kleine Proben zu entnehmen", um, naja, um sich vor der Verletzung durch die Wirklichkeit tendenziell zu schützen, ohne ihr verletzendes Potential zu leugnen. (vgl. Rudi Thiessen: Urbane Sprachen - Proust, Poe, Punks Baudelaire und der Park. Vier Studien über Blasiertheit und Intelligenz. Vorwerk 8, Berlin 1997)

Ich denke, an dieser Stelle hat nur mehr ein kurzes und vielleicht auch ein heiteres Gedicht Platz. Ja, es gibt heitere Gedichte! Zum Beispiel dieses:

Kinder weinen.
Narren warten.
Dumme wissen.
Kleine meinen.
Weise gehen in den Garten.

Es stammt von Joachim Ringelnatz (1883-1934). Weitere Infomationen zum Autor und weitere Gedichte sind zu finden auf: http://www.zeno.org.