Kapitel 7: Mit einer Liste kannst du nie verlorengehen


Zum wiederholten Male wurde ich auf Facebook eingeladen, eine Liste jener 10 Bücher zu erstellen, die für mein Leben besondere Bedeutung erlangten. Ich bin ja an sich eine Freundin von Listen, siehe Titel dieses Kapitels, aber...

Der Satz "Mit einer Liste kannst du nie verlorengehen" stammt von Raymond Federman, dessen Buch "Alles oder Nichts" selbstverständlich und sehr spontan den Weg auf meine 10 Bücher Liste fand. Während ich die Liste erstellte, entstand aber ein "Listendilemma", das vielen Listen innewohnt.

Es gibt genau genommen keine perfekte Liste! Immer läuft etwas Gefahr, vergessen zu werden, immer gibt es Aspekte, die keine Berücksichtigung finden. Ist die Liste zum Beipiel kurz, so läuft sie Gefahr, sich selbst ad absurdum zu führen, oder, man könnte sagen, sie wird so konzentriert, dass sich ihre Aussagekraft verschiebt. Ich frage mich an dieser Stelle, wie eine Liste aussähe, in der nur drei (3!) Bücher pro Person genannt werden dürfen! Wenn eine Liste aber sehr lang wird, verliert sie ihre Funktion, Bücher herauszuheben und ihnen quasi damit einen besonderen Status zuzuweisen. Ich könnte z.B. natürlich alle Bücher, die ich gelesen habe, in diese Liste aufnehmen, das wäre aber dann möglicherweise zu viel des Guten.

Die folgende Liste, die ich präsentiere, stammt aus einem literarischen Werk. Sie trägt den Titel "Unangenehmes" und stammt aus dem Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon (geboren um 966, gestorben um 1025), die am japanischen Kaiserhof lebte. Ob die Liste ein Gedicht ist? Eigentlich nicht. Das Kopfkissenbuch gilt als Prosa. Uneigentlich aber doch. Ein bisschen Gedicht steckt schließlich in vielen, vielleicht sogar allen Listen. Poesie jedenfalls, wenngleich dieses Wort nicht mit Lyrik gleichzusetzen ist.

Unangenehmes
UnangeEin Gast, der lange Reden hält, wenn mans eilig hat.
UnangeEin Haar in der Schreibtusche - oder ein Stein im Tuschkästchen.
UnangeJemand ist plötzlich erkrankt und man läuft zum Arzt. Zu Hause ist er nicht und an dem Ort, wo er zu finden sein soll, ist er auch nicht. Man sucht weiter. Dann wartet man endlos lange. Endlich kommt er. Man ist hocherfreut, bringt ihn zum Kranken und hofft, dass er ihn rasch gesund machen wird. Aber kaum sitzt er am Krankenlager, da schläft er vor Müdigkeit ein.
UnangeEin Mensch, der nichts von einer Sache versteht und unaufgefordert mit stolzer Miene und großem Nachdruck darüber urteilt
UnangeEin weinendes Kind, wenn man einem bestimmten Geräusch lauscht
UnangeSummende Mücken, wenn man gerade einschlafen will.
UnangeEin Mensch, der auf einem knarrenden Wagen fährt. Wie unangenehm, wenn man einen solchen Wagen gemietet hat.
UnangeMenschen, die bei jeder Geschichte ihr liebes Ich in den Mittelpunkt stellen.
UnangeÜberhaupt alle Menschen, die sich vordrängen.
UnangeWenn man freundlich mit Kindern umgeht und ihnen hübsche Dinge zum Spielen gibt und sie schließlich alles behalten wollen und die Dinge am Ende zerstreut und vielleicht sogar zerbrochen herumliegen.

Listen. Es ist schon ein lustiges Detail, dass dieses Wort sowohl die Mehrzahl von "die Liste" als auch die Mehrzahl von "die List" sein kann. Außerdem gibt es das englische Wort "to listen".

Ich habe also 10 Bücher genannt, die für mein Leben besonders bedeutsam waren. Ganz unmöglich ist es für mich, eine solche Liste wirklich spontan zu machen. Ich frage mich schon während der Auswahl, ob ich wohl Dinge erwähne, die vielleicht jenen, die meine Liste lesen, ebenfalls bedeutsam werden können und sollen. Außerdem schaue ich nach Quoten, die zu erfüllen mir wichtig sind: Männer/Frauen, Prosa/Lyrik/Sachbuch/Comic, Lebensalter der Lektüre (es wäre seltsam, lauter Kinderbücher zu nennen, aber es sollte auf jeden Fall eines dabei sein), weiters geht es um die Ausgewogenheit zwischen "zeitgenössisch" und "von früher" (?), um Texte aus Europe/USA/Afrika/Asien/Australien.
Ich vergesse natürlich nicht, dass eine solche Liste eine Aussage über mich macht. Ich finde es okay, Winnetou 1 in die Liste aufzunehmen, fraglich ist, ob ich Pippi Langstrumpf hinzugefügt habe, um einen Gegenpol zu Winnetou zu schaffen (oder umgekehrt)?
Ade, spontanes Listenschreiben!

Abschließend in diesem Kapitel noch eine eigene Liste:

nicht vergessen
nicht belege für „lyrik“
nicht christine
nicht reismilch
nicht ladegerät
nicht linsen, brille
nicht reispaß

(Der Fehler in der letzten Zeile entstammt dem handgeschriebenen Original und ist also mehr als ein [1] Tippfehler.)