Ich beginne mit einem Gedicht von aus
Else Lasker-Schüler. Es stammt aus dem neu erschienenen Buch: "Frauen
| Lyrik. Gedichte in deutscher Sprache" (Reclam 2020).
Else Lasker-Schüler wurde 1869 in Elberfeld geboren und starb 1945
in Jerusalem.
Elbanaff
Min salihihi wali kinahu
Rahi hatiman
fi is bahi lahu fassun -
Min hagas assama anadir,
Wakan liachad abtal,
Latina almu lijádina binassre.
Wa min tab ihi
Anahu jatelahu
Wanu bilahum.
Assama ja saruh
fi es supi bila uni
El fidda alba hire
Wa wisuri - elbanaff!
Gedichte wie dieses entziehen sich den gewohnten
Lesarten. Sie bergen indessen die Versuchung der Interpretation. Sie
verführen nicht nur mit - möglicherweise - versteckten Anspielungen
auf Bedeutungen, Bedeutungsfragmenten vielleicht, sondern auch mit Klang.
Und, heutigentags steckt in ihnen auch die Verführung, ein Übersetzungsprogramm
zu Rate zu ziehen, das vielleicht Bekanntes darin aufspürt. Irgendwie
eine möglicherweise respektlose Zugangsweise, aber ich versuchs
mit Google translate. Doch ach, es lässt mich im Stich. Zu "elbanaff"
fällt ihm nur "Banff" ein. Mit "Banff" kann
ich eigentlich noch weniger anfangen als mit "elbanaff", in
welchem das Translationsprogramm immerhin Arabisch erkennt. Aber ich
gebe nach diesem einen Versuch nicht auf: Die erste Zeile, laut Google
in der mir bislang unbekannten Sprache Cebuano verfasst, ist nicht übersetzbar.
Cebuano? Ich lese nach: 18 Millionen Menschen auf den Philippinen sprechen
Cebuano. Es ist also eine veritable Bildungslücke, dass ich noch
nie von dieser Sprache gehört habe. Es ist leicht, Bildungslücken
zu entdecken, zumal, wenn man dabei das Internet zu Hilfe nimmt.
Wie auch immer: Einfaches Übersetzen hat hier wenig Chance, auch
dann nicht, als ich andere Translationsprogramme bemühe. Und es
ist ja auch wohl kaum in der Absicht der Autorin gelegen. Fast bin ich
also überrascht, als die Zeile "Wakan liachad abtal"
zu einem "He was to pull out heroes" wird. Und was nun? Nein
ich vertraue lieber auf meinen Eindruck, nichts mit Helden und herausziehen,
eher eine Beschwörung von geheimnisvollen Kräften, gedichtet
in mystischem Asiatisch, wie Else Lasker-Schüler schrieb. Hier
sollte auch der Hinweis nicht fehlen, dass Else Lasker-Schüler
eine Art Alter Ego ihr eigen nannte, nämlich jenes des Prinzen
Yussuf von Theben. Sie schrieb: "In Gedanken im Himmel, betreue
ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf." Allerdings gibt
es in der Tat eine Fassung dieses Gedichtes in deutscher Sprache, von
Else Lasker-Schüler als erste Version geschrieben. Genaueres dazu
kann man auf der Website von Reinhard Döhl nachlesen, wo er sich
mit akustischer Poesie befasst, es gibt aber auch eine Publikation von
Nina Berman zum Thema "Orientalismus, Kolonialismus und Moderne.
Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur des 19. Jahrhunderts."
Ja, so kommt man von einem Gedanken zum anderen: In diesem Buch ist
dem Schriftsteller Karl May das zweite Kapitel gewidmet. Ich war in
meinen Jugendjahren begeisterte Karl-May-Leserin. Später auch kritische
Karl-May-Rezipientin, natürlich.
Ich wende mich nun wieder dem Eingangsgedicht zu und fantasiere über
Elben, diese mystischen Wesen, die vielleicht in Elberfeld leben (wo
Else Lasker-Schüler geboren ist). Oder leben sie in einem Nadir,
einem Tiefpunkt? Leben sie in Liachad, falls es eine Stadt dieses Namens
gibt? Oder ist Liachad ein Berg? Ein Fluss? Ganz sicher wird jeder Mensch
in diesem Gedicht andere Ankerpunkte finden, das macht vielleicht auch
das besondere einer erfundenen Sprache aus, oder, sagen wir so, einer
unbekannten Sprache. Der Vollständigkeit halber hier die deutschsprachige
Fassung des Gedichtes. Ich staune ein bisschen. Ein bisschen staune
ich.
Weltflucht
Ich will ins Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,
Vielleicht - ist's schon zu spät zurück
O, ich sterbe unter Euch!
Da ihr mich erstickt mit Euch.
Fäden möchte ich um mich ziehn -
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Um zu entfliehn
Meinwärts!
An den Abschluss dieses Kapitel möchte ich
ein Zitat aus dem Buch "Das Pferd" von Ann Cotten setzen,
ein Zitat, das für mich in einem inneren Zusammenhang mit dem sprachlichen
Bemühen steht, falsch, mit jedem Bemühen, jedem Nichtverstehen,
mit jedem Missverstehen, und, last not least, mit jedem Bemühen
um (s)ich, ums Ich.
Ann Cotten schreibt:
"Dieses schmale, brennende Ich, sollte es
alleine diese
"riesigen Schatten für alle werfen,
die niemand begreift?"