Kapitel 78: Vom runzeligen Hintern, dem Daheim-Sein und "wie so"?


Beginnen möchte ich mit einem Gedicht von Fahmida Riaz. Es heißt "Schönheitskonkurrenz" und ist in der Sprache Urdu geschrieben, einer Sprache, die mir bislang weitgehend unbekannt war, ich wusste gar nicht, wie viele Menschen diese Sprache sprechen. Ich weiß es jetzt: Urdu hat 95 Millionen Muttersprachler. Das viele Daheim-Sein während dieser noch immer andauernden "Corona-Zeit" hat es mit sich gebracht, dass ich mich vermehrt im Internet aufhielt, sei es, um Gedichte anzuhören, sei es, um an Veranstaltungen, die im Netz übertragen wurden, teilzunehmen, manchmal als Publikum und manchmal auch als Autorin. Ja, im Netz ist auch viel Interessantes zu hören, zu finden! Nichtsdestotrotz: Corona go away!

Nun aber zum Gedicht von Fahmida Riaz.

Der Titel des Gedichtes sieht auf Urdu so aus:

Urdu verwendet eine Variante des persischen Alphabets, das wiederum eine Variante des arabischen Alphabets ist. Hier das Gedicht der pakistanischen Autorin in deutscher Übersetzung (sie stammt von Rainer Kimmig). Die gesprochene Version könnt ihr auf Lyrikline.org anhören.

Schönheitskonkurrenz

Ist der Hintern auch runzlig, was solls
im Kopf sitzt noch immer ein suchender Verstand
Auch war da ein bisschen Herz unter den Brüsten
doch bemisst mein Wert sich nach denen
dann kneife bitte auch du nicht
Wenn du mich fertig vermessen hast
miss auch ein gewisses Teil an dir!

Soweit so gut.
Eine schöne Retourkutsche an alle, die es nicht begriffen haben. Gibt es sie? Ja es gibt sie.

Ich antworte mit einem Gedicht. Es ist nicht neu, nein, es ist nicht neu. Ich habe es schon einmal zitiert und es gibt auch ein Stickbild mit diesen Zeilen, Wolle auf Stramin, Buchstabe für Buchstabe. Das Gedicht geht so:

In den Wintern
sind die Hintern
rund und kalt
wir werden alt

Ich schließe dieses Kapitel mit einem Gedicht von Zehra Çirak. Ich mag das Gedicht, denn es ist ein kleiner, schlichter Ausblick. Ein kummervoller Ausblick auch. Aber lest selbst. Das Gedicht stammt aus dem Band "Vogel auf dem Rücken eines Elefanten". Eine Lesung mit Zehra Çirak kann man auf literaturradio.at anhören.

Sich warm laufen

Weil man weiß, daß auch Brücken ein Ende haben
braucht man sich beim Übergang nicht zu beeilen

doch auf Brücken ist es am kältesten

Ich bin nicht sicher, ob ich mich auf einer Brücke befinde. In gewisser Weise sage ich ja. Mein Hintern jedenfalls friert und runzelt kritisch die runden Backen. Nein, man braucht sich nicht zu beeilen, aber es könnte sein, dass die Kälte den Schritt beschleunigt. Ich zitiere nun, was ich von der Relativitätstheorie nicht verstanden habe: Je schneller man sich bewegt, umso langsamer vergeht die Zeit. Inzwischen knurrt meine innere Stimme der so genannten real existierenden Wirklichkeit entgegen, dass wir, sie und ich und alle anderen, die diese Wirklichkeit bewohnen, es genau genommen eilig haben. Ziemlich eilig. Hoffentlich ist es schon am kältesten, damit wir uns warm laufen.