Kapitel 81: Brombeeren. Pracht. Kompost.


Ich möchte heute mit einem kurzen Gedicht von Inger Christensen beginnen. Es stammt aus dem Band "alfabet" und ich kann es auswendig.

alphabet (2) [die farne gibt es]

die farne gibt es; und brombeeren, brombeeren
und brom gibt es; und den wasserstoff, den wasserstoff


Ich dachte an dieses Gedicht, neulich, als wir die vielen Farne im Botanischen Garten bewunderten, ich drehte ihre Blätter um, ich hatte ja vor längerer Zeit schon darüber gelesen, dass sie sich generativ durch Sporen auf den Blattunterseiten vermehren. Blüten sind ihnen nicht möglich.
Dass das Alphabet im Gedicht von Inger Christensen von den Farnen zu den Brombeeren kommt, stellt einen Zusammenhang her, den es geben könnte, aber außerhalb des Gedichtes nicht gibt. Das Gedicht macht einen Zeitsprung, falsch, es spielt in der Gegenwart, wo sich Farne und Brombeeren gute Nacht sagen. Die Brombeeren mit ihren wilden Stacheln, wehrhaft, jedenfalls auf der Welt. Noch. So wie die Farne. Noch immer. Auf der Welt in einer Ordnung der Dinge, je nachdem. Die Elemente, darunter Brom, lassen sich mit einer Ordnungszahl nummerieren. Brom hat 35. Es ist rotbraun. Im Periodensystem gibt es Wasserstoff. Er hat die Ordungszahl 1.

Über die Ordnung der Dinge quer und queer durch die Zeiten komme ich zum Tanzplatz des folgenden Gedichtes von Sylviane Dupuis, das ich auf lyrikline.org entdeckt habe. Das ist das Gedicht, das den Zeitsprung intoniert, den ich schon zwischen Farn und Brombeere zu entdecken glaubte.

Sylviane Dupuis
TANZPLATZ

Die unfassbare Pracht aller Zeit
irrt umher im Herzen von Heut
verliert sie sich, stösst
ans Leere
ans Leere sucht eine
Menschenseele, im Dunkel
im Beinhaus unserer Träume
- und Tanzplatz


(Das Gedicht ist veröffentlicht im Buch "Géométrie de l’illimité", 2000. Die Übersetzung stammt von Barbara Köhler.)

Auf diese beiden Gedichte möchte ich nun mit drei Dreizeilern antworten, die ich der Kompostistin Donna Haraway gewidmet habe.

Ilse Kilic
Kunst und Kompost

Totsein ist Kompost,
sagt die Stimme der Natur.
Ich möchte lieber nicht!, sage ich.

Nur wenn du lebst kannst du
Ich möchte lieber nicht! sagen,
sagt der Kompost.

Bin ich Kunst?,
fragt das Leben,
das letzte Wort schreibe ich nicht.