Ich beginne mit dem Gedicht von Di 
          Lu Galay. Es handelt von einer Maus, die ein Elefant werden will und 
          befindet sich im Buch "Ein Oktopus, aber so viele Handschuhe", 
          das in der parasitenpresse im Jahr 2021 erschienen ist. Die Gedichte 
          des Dichters aus Myanmar, die ursprünglich auf Birmanisch geschrieben 
          wurden, hat Artur Becker ins Deutsche übertragen.
         Di Lu Galay
         EINE MAUS, DIE 
          SICH IN EINEN ELEFANTEN VERWANDELN WILL
          EINE Die Maus hat ein mega Talent.
          EINE Sie ist besessen von Motivationstraktaten
          EINE zum Thema : "Sein und Werden 
          eines Elefanten".
          EINE Die Maus feiert mehr und mehr große 
          Erfolge.
          EINE Sie hat allerdings keinen Schlüssel,
          EINE denn die einzigen Schlüssel, 
          die im Leben existieren,
          EINE sind goldene Schlüssel zum Erfolg.
          EINE Und alles, was die Maus tun muss, 
          ist, in eine Geburtstagstorte einzutauchen.
          EINE Sie hat bereits ihren Fluchtweg kartiert.
          EINE Die Maus ist
          EINE ein denkender Elefant.
          EINE Die Maus will sich in einen Elefanten 
          verwandeln.
          EINE Und wenn sie ein Elefant wird,
          EINE wird sie in die Annalen der Nagetiergeschichte 
          eingehen
          EINE als die erste Maus, die die Kunst,
          EINE sich in einen Elefanten zu verwandeln, 
          entdeckt hat. 
          EINE Heute sieht die Maus im Trinity Krawattenknoten 
          mega weltmännisch aus.
          EINE Regenwolken bilden sich über 
          dem Horizont.
          EINE Die Maus begrüßt die Menge: 
          "Guten Abend Euch allen.
          EINE Wer unter Euch will kein Elefant sein"?
         Der Autor dieses Gedichtes stammt 
          aus Yangon, also aus Myanmar, wo er als Menschenrechtsanwalt lebt. Er 
          organisiert das Online Lyrikfestival "Midnight-poetry Festival".
          Um die Sprache birmanisch zu hören, habe ich mir nun auf lyrikline.org 
          einen anderen Dichter als Myanmar angehört, er heißt The 
          Maw Naing und stammt ebenfalls aus Yangon. Unter dem folgenden Link 
          kann man ihn lesen hören und auch die Schrift, nämlich birmanisch 
          sehen. Die Übersetzung ins Englische stammt vom Autor selbst. Seht 
          und hört es Euch an. Es ist interessant, Gedichte aus einer von 
          uns so weit entfernten Welt kennenzulernen.
        The 
          Maw Naing
        Zurück zu Di Lu Galay und der 
          Maus, die ein Elefant werden will. Natürlich kann es sein, dass 
          ich dieses Gedicht missverstehe, dass Maus und Elefant von ihrer Geschichte 
          her und allem, was sie an Assoziationen auslösen, in Myanmar ganz 
          anders besetzt und codiert sind. Aber ich kann dem Wunsch der Maus, 
          sich in einen Elefant zu werden, durchaus etwas abgewinnen, obwohl ich 
          auch Mäuse mag. Elefanten und Mäuse haben jedenfalls trotz 
          ihrer Unterschiedlichkeit einiges gemeinsam: Sie sind grau, haben gute 
          Ohren und besitzen ein klopfendes Herz, wenngleich das der Maus viel 
          schneller schlägt, nämlich 400 bis 600 mal pro Minute. Mein 
          eigenes Herz ist dem Elefanten näher, was seine Klopfgeschwindigkeit 
          betrifft. Ein Elefantenherz schlägt 20 bis 30 mal pro Minute, das 
          Ilseherz ca. 60 mal. 
          Warum möchte die Maus wohl ein Elefant werden? Ist es die Größe? 
          Das Gewicht? Will sie gewichtig werden? Ein Vorbild? Ein Beweis, dass 
          das Unmögliche möglich ist? Glaubt sie wirklich, dass alle 
          anderen Lebewesen das auch wollen? Ein Trinity Krawattenknoten sitzt 
          locker und gilt als elegant. Kann er den Träger oder die Trägerin 
          schützen, wenn es sich um eine Maus handelt?
          Das Gedicht lässt viel offen. Wir erfahren nichts von der Verwandlung 
          selbst, aber einiges vom Wunsch. Und die Maus tanzt im Gedicht. Ob die 
          Verwandlung eine Mausefalle ist, sein wird, sein könnte, wissen 
          wir nicht. Aber: Es wird regnen. Der Elefant, so es ihn geben wird, 
          wird im Regen stehen.
          Ich habe zwei Gedichte im Kopf, die ich diesem Gedicht an die Seite 
          stellen könnte. Eines bezieht sich auf die Schicksalshaftigkeit 
          des Daseins, das zweite auf das Größerwerden als Tier. Ich 
          entscheide mich für das Gedicht zum Schicksal.
          Dieses stammt von Veronique Homann und steht in ihrem Gedichtband mit 
          dem Titel "Sid Wischi Waschi", der 2021 in der parasitenpresse 
          erschienen ist. (Ihr seht, ich habe in den letzten Wochen Lyrikbände 
          aus der parasitenpresse gelesen, das kann ich übrigens Euch allen 
          empfehlen!)
         Das Gedicht von Veronique Homann geht 
          so:
         SCHICKSAL
         nein
         Serendipität
         ja
        Jetzt kann ich mir als Leserin natürlich 
          einige Fragen stellen zur Serendipität und ob sie nicht einfach 
          nur eine Variante des Schicksals darstellt. Das Wort Serendipität 
          ist nur annäherungsmäßig übersetzbar, ich beschreibe 
          es jetzt als den glücklichen Zufall, der quasi die positive Seite 
          des Schicksal sein will, aber das erfasst das Prinzip eben nicht ganz. 
          Serendipität bedeutet nämlich auch, dem Zufall durch Forschen 
          auf die Sprünge geholfen zu haben, aufdass er sich als glücklich 
          erweise. Zum Beispiel, um auf die Maus zurückzukommen, indem sie 
          den goldenen Schlüssel sucht und dabei die ersehnte Kunst erlernt, 
          sich in einen Elefanten zu verwandeln. Kann sein. Suchen ist Bedingung. 
          Versuchen vielleicht auch. 
          "Man sucht ein Leben lang" ist der Titel eines Buches von 
          Magdalena Sadlon, erschienen 1988 im gangan Verlag. Das Buch beherbergt 
          41 Anagramme, jenes, das dem Buch den Titel gegeben hat, sei hier zitiert. 
          
          Zur Erinnerung: Als Anagramm wird eine Buchstabenfolge bezeichnet, die 
          aus einer anderen Buchstabenfolge durch Umstellung der Buchstaben gebildet 
          ist. Bei Magdalena Sadlon bildet die Ursprungszeile den Titel der Gedichte, 
          die folgenden Zeilen werden durch Umstellung der Buchstaben gebildet. 
          Dass dieser Verfahrensweise ein Suchvorgang innewohnt, versteht sich 
          von selbst. Die Scrabble-Buchstaben, mit denen die Autorin ihre Suche 
          unterstützt hat, sind abgebildet. Der Anagrammgenerator, also das 
          automatisierte Anagrammieren, war noch nicht vorhanden. Der erste Anagrammgenerator 
          in deutscher Sprache startete 1996. Auf das Für und Wider der Benützung 
          dieser Anagrammbaumaschine gehe ich an dieser Stelle nicht ein. Ich 
          zitiere lieber gleich das Gedicht.
        Magdalena Sadlon
        Man sucht ein 
          Leben lang
        Eisblumennacht, Langen
          nach Lebensmut. Angel in
          bleiche Angst nun malen,
          ins Bangen. Achtel Lumen.
          Nicht Lebenslaunen mag
          mein Schlagen, Bluten. An
          bunten Naegeln mich als
          Beulen langsam nichten.
          Sinn, Luegen belacht man.
          Man sucht lang ein Leben.