Kapitel 90: Seelen, Weltenraum und Schutzengel


Etel Adnan

Gespräche mit meiner Seele

Liebe Seele, wir leben
closeeine kurze Zeit,
sind tot für eine Unendlichkeit
closean Zeit
Wäre Unsterblichkeit
closeeinfach das Überleben der
closecloseErinnerung?clSo oft stirbt Erinnerung
closecloseclosevor ihrem Besitzer
Liebe Seele, du sagst mir nicht
closewas oder wer ich bin,
closeclosebin ich, weil ich gewesen bin?

Auf Etel Adnan bin ich zufällig gestoßen, weil sie Gedichte über den Kosmonauten Juri Gagarin geschrieben hat. Ich glaube nicht, dass sie sehr bekannt ist, obwohl es ziemlich viel an übersetzten Büchern von ihr gibt. Wie auch immer, sie war zu dem Zeitpunkt, als ich sie entdeckt habe, eine alte Dichterin, sie ist 1925 geboren. Im Jahr 2021 ist sie gestorben. Im Internet kann man auch Bilder von ihr finden, sie war als Autorin und als Malerin aktiv. Das Gedicht, das ich zitiert habe stammt aus dem Band "Gespräche mit meiner Seele", der 2015 bei Nautilus erschienen ist. In der Städtischen Bücherei habe ich das Buch "Wir wurden kosmisch" (starfruit verlag 2019) entdeckt, eben jenes, in dem sie sich mit Juri Alexejewitsch Gagarin beschäftigt und über die menschliche Sehnsucht, das All zu besiedeln, nachdenkt:
"Lange elliptische Flugbahnen führen zu Quetschungen im Himmel."
Die Seele ist etwas Unerforschtes. Ob es sie gibt oder nicht, wissen wir nicht, oder falsch, sagen wir so, es gibt sie, irgendwie, auf jeden Fall im Text, in der Phantasie und vielleicht in den hochfliegenden Gefilden, die wir zu Lebzeiten nicht betreten können. Und nein, es gibt sie dann doch wieder nicht, wenn wir sie suchen, denn sie ist Meisterin im Verstecken und darin, nicht gefunden zu werden, sie gefällt sich im Geheimnis oder auch gar nicht.

Friedrich von Logau, der Barockdichter, der von 1605 bis 1655 lebte und viele Epigramme verfasste, lässt die Seele als eine Erscheinung auftreten, die im Tod heimgeführt wird, wo auch immer dieses "Heim" liegen mag. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum sein Gedicht von einem Fröhlichen Tod spricht. Friedrich von Logau war Mitglied der sogenannten "Fruchtbringenden Gesellschaft", einer Gemeinschaft von Männern, die sich als Sprachgesellschaft verstand und sich der sogenannten Spracharbeit widmete. Hier sein Gedicht, das er dem Tod selbst widmete, der die Seelen gewissermaßen freisetzt und sie entweder den Engeln oder den Teufeln überantwortet:

Fröhlicher Tod

Es ist ein fröhlich Ding um aller Menschen Sterben:
Es freuen sich darauf die gerne-reichen Erben;
Die Priester freuen sich, das Opfer zu genießen;
Die Würmer freuen sich an einem guten Bissen;
Die Engel freuen sich, die Seelen heimzuführen;
Der Teufel freut sich, im Fall sie ihm gebühren.

Engel sind auch so etwas wie Seelen. Ihre Existenz steht in den Sternen und doch wünschen wir uns alle einen Schutzengel, am besten gleich mehrere. Ich erinnere mich, dass meine Eltern über mein Kinderbett ein Bild gehängt hatten, da standen um ein schlafendes Kind vierzehn Engelchen und der Bildtext lautete:
closeAbends, will ich schlafen gehn,
closevierzehn Engel um mich stehn,
closezwei zu meinen Häupten,
closezwei zu meinen Füßen,
closezwei zu meiner Rechten,
closezwei zu meiner Linken,
closezweie, die mich decken,
closezweie, die mich wecken,
closezweie, die mich weisen
closezu Himmels Paradeisen.

Ich fand es irgendwie beruhigend, dass ich umgeben von Engelsgestalten schlief, das himmlische Paradeis sagte mir wenig, also für mich hätten es zwölf Englein auch getan. Andererseits war es auch eine seltsame Vorstellung, dass es der Englein bedurfte, um mich zu wecken und die Decke über mich zu breiten, was doch, in diese frühen Tagen, stets meine Eltern übernahmen, ich erinnere mich nicht mehr, wer von ihnen mir das endgültige "Gute Nacht Wort" sprach und das Licht löschte.

Ein wunderschönes Gedicht über die Seele habe ich neulich auf facebook gefunden. Es stammt von Wisława Szymborska und steht in ihrem Buch "Der Augenblick / Chwila - Gedichte", polnisch / deutsch, Suhrkamp 2005.

Ein Wort über die Seele

Eine Seele hat man.
Keiner hat sie unentwegt
und für immer.

Tag für Tag,
Jahr für Jahr
kann ohne sie vergehen.

Manchmal nur nistet sie sich
in den Entzückungen und Ängsten der Kindheit
für länger ein.
Manchmal nur im Staunen darüber,
daß wir alt sind.

Sie assistiert uns selten
bei mühsamen Tätigkeiten,
wie Möbelrücken,
Kofferschleppen
oder beim Fußmarsch in engen Schuhen.

Beim Ausfüllen von Fragebogen
und beim Fleischhacken
hat sie in der Regel frei.

Von unseren tausend Gesprächen
beteiligt sie sich an einem,
und auch das nicht unbedingt,
lieber schweigt sie.

Wenn unser Körper zu schmerzen beginnt,
macht sie sich heimlich davon.

Sie ist wählerisch:
Ungern sieht sie uns in der Masse,
unser Kampf um Überlegenheit und der Lärm der Interessen
widern sie an.

Freude und Trauer
sind ihr nicht verschiedene Gefühle.
Nur in ihrer Verbindung
ist sie zugegen.

Wir können auf sie zählen,
wenn wir ganz unsicher sind,
und neugierig auf alles.

Unter den materiellen Dingen
mag sie Pendeluhren
und Spiegel, die emsig arbeiten,
selbst wenn niemand zusieht.

Sie sagt nicht, woher sie kommt
und wann sie uns wieder entschwindet,
doch ausdrücklich erwartet sie solche Fragen.

Es sieht so aus,
daß so, wie wir sie,
auch sie uns zu irgend etwas braucht.

Mein Abschlusswort: Vielleicht gibt es die Seele ja im Irgendwo oder im Nirgendwo und es liegt an mir, sie bei Laune zu halten, wobei sie, wenn ich dem Gedicht von Wisława Szymborska vertrauen will, nicht bei Laune gehalten werden will, nein das wohl nicht. Wozu könnte sie mich brauchen? Nun ja. Vielleicht ist es ihr angenehm, wenn ich Löcher in die Luft schaue, auf eine feministische Demo gehe, oder wenn ich ein Gedicht lese. Vielleicht mag es die Seele, wenn ich im Botanischen Garten den Blumen beim Blühen zuschaue, einen Socken stricke oder geduldig an einem Bild zeichne? Oder vielleicht auch nicht. Die Neugier fühlt sich jedenfalls ganz wohl bei mir, die Unsicherheit gelegentlich auch. Ich erinnere mich an den Ausdruck, jemand sei eine gute Seele, ich glaube, damit war Gutmütigkeit und Sanftmut gemeint, vielleicht ist meine Seele eine gute Seele, wahrscheinlich werde ich mir da nie ganz sicher sein. Ein Eselchen ist das Seelchen jedenfalls nur in der Verkleinerungsform, da lassen sich die Buchstaben gut herumdrehen. Punkt.