Kapitel 48: Allein bin ich ja nicht.


Ich könnte dieses Kapitel auch folgendermaßen nennen: "Absonderlich und süß bin ich nicht allein". Oder vielleicht sogar: "Absonderlich und süß ist man nicht allein", wiewohl das vielleicht ein wenig übertrieben wäre. Außerdem kann es ja manchmal ganz angenehm sein, allein zu sein, in aller Absonderlichkeit und Süße. Wie auch immer.

Ich habe in Kapitel 24 "Regen und Licht" gefragt ob Gedichte eine Antwort brauchen. Und ich habe gesagt, nein, ich glaube nicht. Andererseits freuen sich Gedichte, wenn ein anderes Gedicht auf sie antwortet und zwar auch dann, wenn diese Antwort vielleicht schon vorher da war oder zeitgleich entstanden ist. So genau nehmen es die Gedichte nicht mit der Zeit. Die Autorin Christa Nebenführ hat mir ein Gedicht gesendet, das in gewisser Weise auf mein Gedicht über das Altwerden antwortet.
Zunächst also mein Gedicht:

In den Wintern
sind die Hintern
rund und kalt
wir werden alt.

Und nun das Gedicht von Christa Nebenführ:

Ich will darüber reden, dass ich alt werde, und wie scheiße das ist.
Inzwischen kann es niemand mehr hören.
Sie wollen gemütlich aus-chillen.
Sagen die anderen.
Keine Übersiedlung mehr.
Keine Leidenschaften.
Vielleicht ein neues Auto.
Ende der Fahnenstange.
Manche beklagen sich,
dass die Ärzte sie nicht so ernst nehmen wie früher.
No na.
Ende der Fahnenstange.
Die Ärzte sind meistens jünger.
Sie messen desaströse Werte und sagen
"nicht weiter beunruhigend."
No na.
Ich wäre an ihrer Stelle auch nicht beunruhigt.

Jung zu sein war allerdings auch scheiße.
Keine Ahnung zu haben, ob ich irgendwas auf die Reihe kriegen würde.
Ein Einkommen.
Eine Wohnung.
Eine Liebe.
Ein Auto.
Einen richtigen Beruf.
Oder sogar:
Viel Geld.
Viel Ehre.
Viele Lieben.

Inzwischen ist immerhin klar:
Viel wird sich nicht mehr ausgehen.

Naja das Altwerden, also ich musste lächeln über Christas Gedicht, vor allem über die ersten beiden Zeilen. Ich lächle gerne.
Nein niemand will hören, wie Scheiße das Altwerden ist! Ich erinnere mich ganz gut, wie oft ich es nicht hören wollte! Sie waren wie eine andere Spezies, damals: diese Menschen, 30 oder 40 Jahre älter als ich, oder täusche ich mich? TÄUSCHE ICH MICH?

Täusche ich mich
mit einer kleinen Bewegung
einer Bewegung des Blatt Papiers
des Papiers, das die Nachricht zuträgt
die Nachricht vom Weitermachen.


Dieses Gedicht habe ich aus einem Buch von Fritz Widhalm entlehnt. Das Buch heißt "Happy End", tja. Ich persönlich bin auf der Suche nach den positiven Seiten des Älterwerdens, die mir von einigen FreundInnen und KollegInnen wiederholt (WIEDERHOLT!) ans Herz gelegt wurden. Deswegen gibt es jetzt zu meinem Gedicht einen kleinen Nachschlag, eine Reprise sozusagen, die uns, also Christa, Fritz und mich und alle anderen, mit dem Verstreichen der Zeit ein wenig versöhnen soll (diese Möglichkeit ziehe ich jetzt mal vorsichtig in Betracht).

Mir fällt nichts ein
gegen die Zeit,
kein Mittel,
keine Uhr,
die sie anhält,
keine Formel,
die ihren Stillstand beweist,
nur ein bisschen stillhalten soll sie,
natürlich nicht morgen, wenn ich beim Zahnarzt sitze,
verdammt. Irgendwer ist immer beim Zahnarzt,
irgendwo läuten immer die Wecker,
und irgendwo findet immer eine Party statt,
die niemals enden soll, aber doch..

Wer einen Comic, den Ilse und Fritz über das Älterwerden gezeichnet haben, kennenlernen will schaut auf: ../2/ganzgut.htm.