Kapitel 82: Unmut, Mut, Kopfhoch im Stroh


Ich möchte heute mit einem kurzen Gedicht von Ko Un beginnen. Von ihm habe ich übrigens schon im Kapitel 63 ein kurzes Gedicht zitiert.
Das nun folgende Gedicht stammt aus seinem Gedichtband "Ein Tag voller Wind".

Kon Un

Unmut

Unmut! Wie ermutigend er doch ist!
Der Unmut, den jeder bisweilen zu erkennen gibt,
muss mehr sein als der gewöhnlich vorhandene Unmut.
Der Unmut über mich selbst,
der mich um Mitternacht mit dem elektrischen Licht umfängt!
Das noch nicht geschriebene Gedicht,
das noch nicht gelesene Buch, die stehende Uhr,
dies alles ist halt mein Mut.
Draußen vor dem Fenster,
auf der Landstraße Nr. 38, sieht man Autos in der Nacht.
Auch ihnen gilt mein Unmut.
Wie ermutigend er doch ist!

Das Gedicht bringt Unmut in Verbindung mit dem Mut. Wie die Sprache es vorsieht, Teil und Gegenteil stehen sich nahe, was aber öfter in Vergessenheit gerät. Das Gedicht ist also quasi eine Anerkennung für den Unmut, vielleicht auch eine Aufforderung, ihn einer Prüfung zu unterziehen, nein, nicht unbedingt Prüfung, sagen wir lieber so: eine genauere Betrachtung kann nicht schaden.
Ich beobachte jede Art von Mut mit Neugier und Interesse, manchmal auch mit einem gewissen Misstrauen. Zum Beispiel frage ich mich, warum in der deutschen Sprache die Wehmut das weibliche Geschlecht aufweist und der Übermut das männliche. Unmut und Mut sind sich hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit einig. Die Armut aber ist weiblich und die Sanftmut auch. Nunja. Darüber kann man schon ein Weilchen nachdenken.
Mit dem Nachdenken ist es manchmal so wie mit dem Eimer und dem Stroh. Ich will ein Loch im Topf stopfen, im Netz der Gedanken, wofür mir aber just der Gedanke fehlt, der die passende Form oder Farbe hat. Oder vielmehr: Der Gedanke kreist im Kopf und soll doch gleichzeitig das Mobiliar gerade rücken, also auch einverstanden sein mit dem Zimmer, das die Welt sein muss, stille Gegenrede, quasi.
Ein bisschen wie im Gedicht von Karin Fellner. es stammt aus ihrem Lyrikband "hangab zur kehle".

Karin Fellner

Es ist wie mit dem Eimer und dem Stroh

Es ist wie mit dem Eimer und dem Stroh
nichts geht mehr richtig zu

ihr Zimmer nennt sich Welt
voll Weh voll Wand und Wollen

das schiefe Mobiliar
die Fünf-Minuten-Pflege

der Paniklauf ins Maul
dann ist es überstanden

und die Zerstückelung
vorbei: das Entlein ich

sitzt im Wolf und brütet

Weiter geht es nun mit einem Gedicht von Christine Huber. Es stammt aus einer Anthologie zum Thema Corona, Titel: "Corona und die Generalpause" (Edition Sonnberg). Das Leben mit und gegen Corona ist durchaus eines, das etwas mit Mut zu tun hat, in jeder Form, Wehmut, Unmut, Schwermut, Übermut, Armut und Wermut. Leichtmut und Anmut eher in Gedanken. Das sorgenvolle Entlein sitzt im Stroh, schreit zum Himmel, macht sich so seine Gedanken, die drehen sich um die ganze Welt.

Chrsitine Huber

schlafen ja
aber wozu eigentlich

"der guten ordnung halber..."
schreibt die hausverwaltung
plus zehn zeilen
zur hygienisch korrekten nutzung
des aufzugs

zeit haben
kann man die aufheben

für die lockerung
auflockerung

Zum Abschluss eine Zeichnung. Sie stammt von Ilse Kilic, das bin ich und ist in der "Nestbeschmutzerin" in der edition tagediebin erschienen. Ja das Kopfhochleben hat mit allem zu tun, mit Corona und dem löchrigen Eimer, mit dem Mut und der Wehmut, mit dem Entlein und dem Stroh, das den Kopf gelegentlich übermütig macht, nämlich dann, wenn es wie der Hafer sticht.